Sehnsucht nach Licht

1. Rorate - 29.11.2005

Jeder von uns weiß, was passiert, wenn wir einen Plastikeimer über ein junges Pflänzchen stülpen. Sehr bald werden die Blätter schlaff und gelb. Wenn man in den Plastikeimer seitlich ein Loch bohrt, dann fängt die Pflanze in aller Eile an, auf das Lichtloch hin zu wachsen. Mit völlig verkrümmtem Wuchs erreicht sie das kleine Loch und kann weiterleben.

Ein ausdrucksvolles Bild für eine Lebenserkenntnis: Alles Leben strömt dem Licht zu. Ohne Licht ist Leben nicht möglich. Wenn Menschen auf der Schattenseite des Lebens stehen oder ständig im Schatten anderer stehen, verkümmern sie.

Das Licht der Sonne ist die erste Voraussetzung für das Leben. Durch Licht werden auch die Schatten unserer Seele vertrieben. In Depressionen empfiehlt man heute oft Lichttherapie. Viele Menschen erleuchten am Abend ihr Haus und viele suchen Landschaften auf, wo oft die Sonne scheint.

Sehnsucht nach Licht - diese Sehnsucht steckt in uns.
Sehnsucht nach Licht - das ist es, was unsere kleinen Rorate-Lichter in der großen Dunkelheit ausdrücken. Kein Wunder, dass diese Sehnsucht so oft im Morgenlob der Kirche, das die Klöster in der Dunkelheit singen, besungen wird, wie z.B. in dem 1 ½ Tausend Jahre alten Hymnus, der auch unsere Sehnsucht noch anrührt:

Nacht und Gewölk und Finsternis,
verworrenes Chaos dieser Welt,
entweicht und flieht! Das Licht erscheint,
der Tag erhebet sich: Christus naht.

So soll, was in uns dunkel ist,
was schwer uns auf dem Herzen liegt,
aufbrechen unter deinem Licht
und dir sich öffnen, Herr und Gott.

Dich, Christus, suchen wir allein
Mit reinem und geteiltem Sinn,
dir beugen willig wir das Knie
mit Bitten und mit Lobgesang.

Blick tief in unser Herz hinein,
sieh unser ganzes Leben an:
Noch manches Arge liegt in uns,
was nur dein Licht erhellen kann.


Pfarrer Stefan Mai

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