„Ich würde den Sprachgebrauch verbessern.“

Geistliches Wort zum 60-jährigen Jubiläum der CSU Unterfranken am 27.11.2005 in Schweinfurt

Eines Tages fragte man Konfutse, womit er beginnen würde, wenn er ein Land zu regieren hätte. „Ich würde den Sprachgebrauch verbessern“, antwortete der Meister. Seine Zuhörer waren erstaunt. „Das hat doch nichts mit unserer Frage zu tun“, sagten sie, „was soll die Verbesserung des Sprachgebrauchs?“ Der Meister antwortete: „Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist. Ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist, so kommen die Werke nicht zustande. Kommen die Werke nicht zustande, so gedeiht die Moral und die Kunst nicht. Gedeiht die Moral und die Kunst nicht, so trifft die Justiz nicht. Trifft die Justiz nicht, so weiß die Nation nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Also dulde man keine Willkürlichkeit in den Worten. Das ist es, worauf alles ankommt.“

Die Sprache ist ein wichtiges Medium im Leben eines Politikers, einer Politikerin. Männer und Frauen der Politik bedienen sich ihrer, um zu überzeugen, zu argumentieren, Ziele zu formulieren, Vorschläge zu machen und Vorlagen zu erarbeiten, um richtige Lösungen von Problemen zu ringen, andere zu begeistern und mitzureißen, müde Massen zu mobilisieren, verängstigte und aufgebrachte Gruppen zu beruhigen, Argumente zu durchleuchten und Gegner zu widerlegen.

Man fragte Konfutse, womit er beginnen würde, wenn er ein Land zu regieren hätte. „Ich würde den Sprachgebrauch verbessern“, antwortete der Meister.
Wenn ich Interviews zu politischen Themen höre oder politische Debatten verfolge und über den „Sprachgebrauch“ in der politischen Szene nachdenke, dann frage ich mich oft: Stimmt da der Sprachgebrauch?
Warum wird eine Niederlage nicht Niederlage, Fehler nicht Fehler, Ohnmacht nicht Ohnmacht genannt?
Wie kann man nur so galant auf ein anderes Thema springen, das mit der gestellten Frage wenig zu tun hat?
Warum nur wird ein Vorschlag des politischen Gegners sofort als rotes Tuch empfunden und wird gleich auf die Hörner genommen und in der Luft zerfetzt?
Warum gilt ein paar Wochen später nicht mehr, was kurz vorher mit dem Brustton der Überzeugung als Stein des Weisen verkündet wurde?
Warum stellen sich manchmal Versprechen schnell als Versprecher heraus?
Warum wird so pauschalisierend und wenig differenziert ein so komplexes Thema dargestellt?
Warum arten politische Talkshows so manches Mal zu einer Wort-Barbarei aus, bei der es scheinbar nur darum geht, den Gegner möglichst triumphal fertigzumachen und so die „Deutungshoheit“ über das umstrittene Thema zu gewinnen?
Warum nur mit einer so forschen und angestrengten Stimme?

Die mittelalterliche scholastische Diskussionskultur hat eine faszinierende Methode der Auseinandersetzung mit dem Gegner festgelegt und an den Universitäten bis zum Vergasen eingeübt: Wer mit anderen um die Wahrheit streitet, so Thomas von Aquin, darf auf keinen Fall damit anfangen, den Gegner sofort anzugreifen und ihn zu widerlegen oder gar lächerlich zu machen. Vielmehr gebietet der intellektuelle Anstand, sich zuerst den Standpunkt des anderen anzueignen und ihn noch besser zu formulieren als der Gegner selbst. Dann erst, im zweiten Schritt, ist es gestattet, den anderen mit eigenen Argumenten zu widerlegen.

Aus Fremdwahrnehmung möchte ich Ihnen weitergeben: Für uns Bürger ist es wohltuend, wenn Politiker und Politikerinnen großen Respekt vor dem politischen Gegner ausstrahlen, auch wenn sie ganz andere Positionen vertreten.
Es ist so wohltuend für uns, wenn wir immer wieder Politiker und Politikerinnen entdecken, die uns aufhorchen lassen, weil sie noch hinhören können und den aufgetischten Problemen und Argumenten nicht ausweichen.
Wie wohltuend sind Männer und Frauen in der politischen Szene, die sich als nachdenkliche Persönlichkeiten abheben und in den Endlosschleifen von Talkshows nicht nur „Plattitüden“ zum zigsten Mal abgeben.
Wie wohltuend, wenn es auf ein schwieriges Problem ein Stocken und Innehalten gibt und nicht die Flucht nach vorn in Sprechblasen angetreten wird.
Wie wohltuend sind Männer und Frauen, die ihre Meinung in Verantwortung vor dem eigenen Gewissen durchhalten, wenn publicity gegen sie steht und die sich auch selbst korrigieren können, wenn sie neue Einsichten gewinnen konnten.
Wie wohltuend sind Menschen, die wissen, dass sie nicht ein kompliziertes Problem in 30 Sekunden vor laufenden Fernsehkameras auf die Schnelle und publikumswirksam mundgerecht darstellen können.
Wie wohltuend sind Politiker und Politikerinnen, denen man glaubt, was sie sagen, weil sie spüren lassen, dass sie nicht als Besserwisser auftreten, sondern aufrichtige Sucher nach guten Lösungen sind.


Wie wohltuend sind Menschen in der politischen Szene, die sich nicht wegen des Drucks der Medien in Machtpoker und Wortgerangel verfangen, sondern denen man abnimmt, dass es ihnen wirklich um die Sache und die Menschen geht.

Man fragte Konfutse, womit er beginnen würde, wenn er ein Land zu regieren hätte. „Ich würde den Sprachgebrauch verbessern“, antwortete der Meister.
„Und das Wort ist Fleisch geworden“ hören wir als Spitzensatz in der Weihnachtsliturgie.

Ich wünsche Ihnen auch im Namen meiner evangelischen Dekanekollegen Walter Luithardt, der heute verhindert ist, und im Namen von Dekan Hanspeter Kern aus Kitzingen, der ihn vertritt, für das harte Geschäft der Politik, um das ich Sie nicht beneide, die nötige Kraft und Gottes Segen.
Ich wünsche Ihnen für Ihr alltägliches politisches Geschäft einen „Sprachgebrauch“, der ehrlich, konstruktiv, wohltuend für uns Bürger und weiterführend in den zu bewältigenden Aufgaben und Problemen unseres Landes ist.


Pfarrer Stefan Mai

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