... und der ist heilig geprochen?

Allerheiligen 2005

„… und der ist heilig gesprochen?“, fragt man sich, wenn man Namen hört wie: Bernhard von Clairvaux. Gewiss, ein bedeutender Ordensgründer, radikal und selbstlos. Ein großes intellektuelles Licht. Aber hat er sich nicht von den Mächtigen seiner Zeit einspannen zu lassen, die blutigen Kreuzzüge als Ehrenpflicht der Christen zu propagieren? Wie viele Menschen hat er durch seine flammenden Predigten manipuliert und in den Tod getrieben?
Und auch am jüngst erst Seliggeprochenen aus Deutschland hat sich die Diskussion entzündet: August Kardinal von Galen – wie kann man den nur selig sprechen? Gewiss, mit seinen Euthanasiepredigten, mit denen er das Nazi-Regime an den Pranger stellte, zeigte er sich als der „Löwe von Münster“, wie man ihn gerne nennt. Er hatte den Mut, den scheinbar lautlosen Abtransport von Behinderten und Geisteskranken als Mord zu bezeichnen. Aber wie mutig war er im Blick auf die Juden, von denen er genau so gut wusste, was mit ihnen in den KZs geschieht? Und waren nicht seine früheren Äußerungen zu den Taten des Nazi-Regimes von einem erschreckend positiven Grundton geprägt? In der Volkszeitung vom Samstag hat eine Leserbriefschreiberin mit Vehemenz darauf hingewiesen.
Wie passt das mit unserer Vorstellung zusammen: Heilige sind Vorzeigeknaben? Perfekte Christen? Menschen mit einer reinen Weste? Überzeugende Glaubensbeispiele? Gestalten, vom Geist Jesu durchdrungen? Wie passt die bunte Reihe der unheiligen Heiligen mit unserer idealistischen Heiligkeitsvorstellung zusammen?
Wie kommt die Kirche dazu, so viele Menschen heilig zu sprechen, die doch so viele dunkle Schatten in sich bargen, ja, die selbst dunkle Schatten in die Geschichte geworfen haben?

Die Kirche behauptet nie, die Heiligen hätten keine Schlagseiten gehabt. Unter ihnen gibt es die ängstlichen Skrupulanten, die aggressiven Draufgänger, die gefühllosen Haudegen, die überschwänglichen Träumer, die weltfremden Charismatiker.
Das Kriterium für „Heiligkeit“ scheint mir gerade nicht die dauerhafte Perfektion eines Menschen zu sein, sondern ein ganz anderes. Die Fähigkeit trotz aller Schwächen und Schlagseiten in einer entscheidenden Situation des eigenen Lebens über sich selbst hinauswachsen. Trotz aller Begrenztheit in einem Punkt diesen Jesus kapieren und spüren: Das muss ich jetzt ins Spiel bringen, egal, was andere über mich denken.
Kirche kennt die Schwächen ihrer unheiligen Heiligen. Aber sie stellt die Kraft, die sie an einem Punkt ihres Lebens gezeigt haben, als vorbildlich heraus und sieht darin eigentlich Gott am Werk. Wenn jemand in der Kirchengeschichte heilig gesprochen worden ist, dann heißt das nicht: Sein Leben ist von A bis Z lupenrein. Sondern: An einem entscheidenden Punkt seines Lebens ist er zu einem lebendigen Kommentar Jesu geworden. Er hat einen wichtigen Lebenszug Jesu in seine Zeit übersetzt und überzeugend gelebt.


Pfarrer Stefan Mai

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