...um gesehen zu werden

Predigt zu 31. Sonntag im Jahreskreis (Mt 23,1-12)

„Alles, was sie tun, tun sie nur, damit die Menschen es sehen.“ Diesen Vorwurf macht Jesus den Pharisäern und Schriftgelehrten heute im Evangelium.
Aber ist das wirklich so schlimm? Was soll daran so schlimm sein, wenn Gutes getan wird, dass dies auch publik gemacht und auch gesehen wird. Ja wäre es nicht gut, dass so manches ehrliche Bemühen, so manche gute Tat an die Öffentlichkeit kommt, anstatt immer nur die „bad news“. „Tu Gutes und rede darüber“, dieser Rat ist inzwischen auch in kirchlichen Kreisen zu einem Slogan geworden. Ja, es wird behauptet, unsere Kirche stünde in der Öffentlichkeit besser da, wenn sie das Gute, das sie auf verschiedensten Gebieten tut, auch wirklich publik machen würde, damit es die Menschen sehen. Selbst schuld, wenn sie ihre großen Verdienste in unserer Gesellschaft nicht besser vermarktet. Selbst schuld, wenn sie sich in einem Art Demutsfimmel nicht so recht getraut, wenn ihr etwas Gutes auf sozialem oder kulturellem Gebiet gelungen ist, dies auch in der Öffentlichkeit professionell zu vermarkten.

Und wenn ich auf mich selbst schaue. Freue ich mich nicht auch, wenn Leute wahrnehmen, dass ich Gutes tue? Tut es mir nicht auch gut, wenn ich dafür ein bisschen Lob und Anerkennung dafür bekomme. Ich glaube nicht, dass es falsch ist. Ich empfinde es sogar als menschlich sehr verständlich.
Warum dann dieser harsche Ton? Ich glaube, Jesus geht es bei der Kritik am Verhalten der Pharisäer um etwas anderes. Er ist überzeugt: Wenn ich Gutes tue, um gesehen zu werden, dann geht es nicht mehr in erster Linie um das Gute selbst, dann geht es eher um mich und einen Zweck, den ich erreichen will. Jesus wittert: Wenn ich Gutes tue, um gesehen zu werden, dann geht es auch nicht mehr um den, dem ich Gutes tue, um seine Sorgen, um sein Wohl, sondern oft nur egoistisch um mich. Und das tut am Ende keinem gut, weder mir, noch meinem Nächsten, noch Gott. Davon ist der überzeugt, der den unvergesslichen Satz geprägt hat: „Wenn du Almosen gibst, soll deine linke Hand nicht wissen, was deine Rechte tut.“
Und mir scheint, Jesus sieht gerade bei den Großen, bei den Begabten, bei den Gewievten, bei den Reichen und Einflussreichen diese Gefahr, Gutes tun für die eigenen Ziele zu instrumentalisieren. Und deswegen definiert er am Ende des Evangeliums sein Bild von echter Größe: „Der Größte unter euch soll euer Diener sein.“ Und setzt hinzu: „Wer sich selbst erhöht, wird erniedrigt werden, und wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden.“

Mit diesem letzten Satz: „Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöht werden“ predigt Jesus keine falsche Demut. Ich glaube eher, er möchte mit diesem Satz den Menschen seine Wertschätzung aussprechen, die sich um Gutes nach ihren Möglichkeiten bemühen, sei es auch noch so gering, die im Hintergrund, ungesehen und still ihre Pflicht und Verantwortung ernst nehmen. Und das sind die meisten Menschen. Sie leben unbekannt und unerkannt. Sie haben in der Öffentlichkeit keinen großen Namen, für ihr Tun wird ihnen keinerlei Denkmal gesetzt. Und ihr Name steht zum ersten Mal in der Todesanzeige in der Zeitung.

In einem Buch aus dem Jahr 1704 mit barocken Sinnsprüchen ist der Satz zu lesen: „Was schads!, ist schon mein Nam bei Menschen unerkannt, steht er gezeichnet doch in Gottes eigner Hand.“ Ich glaube das ist es, was Jesus in Erinnerung rufen will: Wenn du manchmal darunter leidest, dass Gutes, das du tust, nicht gesehen wird oder dich groß herausbringt, sei gewiss: Es gibt einen, der um dein ehrliches Bemühen weiß, es gibt einen, der ganz besonders die Menschen in sein Gedenken aufnimmt, die auf Erden von keinem Gedenken umgeben sind.


Pfarrer Stefan Mai

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