„Gott sei Dank“

Predigt zum Erntedankfest 2005

Ignatius von Loyola, der Gründer des Jesuitenordens, rät jedem Menschen, sich täglich eine kleine Zeit für das Einüben der Dankbarkeit zu nehmen: „Gott, unserem Herrn, Dank zu sagen für die erhaltenen Wohltaten“. Er sieht die Dankbarkeit als Quelle alles Guten. Denn er weiß: Nicht Glücklichsein macht automatisch dankbar, sondern allein ein dankbares Lebensgefühl macht uns glücklich.

Das wissen wir aber auch: Im menschlichen Leben gibt es viele Dankbarkeitstöter:
Der erste ist der Stolz, der glaubt, alles selbst machen zu müssen und nur wer zu sein, wenn er alles selbst schafft und jeder mit Staunen auf seine Tüchtigkeit mit Bewunderung schaut.
Der zweite ist die Selbstverständlichkeit, mit der alles einfach mitgenommen wird. Es wird gar nicht mehr wahrgenommen, dass Gesundheit und eine stabile Psyche, Kraft und Intelligenz, Freude am Leben und Zuversicht ins Leben, eine Familie, die Halt gibt, und eine Arbeit, an der ich Freude habe, letzten Endes unverdiente Geschenke bleiben.
Der dritte Dankbarkeitstöter ist ein falsches Anspruchsdenken, das meint, auf alles ein Recht zu haben, und das einfordern will, was nur frei geschenkt werden kann.
Der vierte Dankbarkeitstöter heißt Gedankenlosigkeit. Wie oft sagen wir gedankenlos: „Gott sei Dank“. Drei Wörter, schnell gesagt und wenig dabei gedacht. Kaum einer, der sie ausspricht, denkt dabei wirklich an den, dessen Namen er ausspricht: Gott.

Vielleicht sagten auch die geheilten Aussätzigen, als sie völlig überrascht feststellten, dass sie gesund sind: „Gott sei Dank“ – und dachten dabei an alles, nur nicht an Gott. Bis auf den einen, der zurückkam und Gott dankte. Enttäuscht ist Jesus über die anderen neun. Schauen wir aber genau hin! Nicht, weil sie ihm nicht dankten, das war Jesus unwichtig. Nein, weil sie Gott nicht die Ehre gaben. Jesus ging es nicht um seine Person, um ein Schulterklopfen, welch guter Mensch er sei und wie er sich für die Kranke aufopfere. Nein, Jesus verstand sich nur als Hinweisschild auf Gott. Gott sollte durch ihn für Menschen spürbar und erlebbar werden.
Aber nur einer hat es begriffen, einer von zehn! Nur einer schafft es, hinter der guten Gabe den Spender alles Guten zu sehen: Gott. Nur einer begreift es von Zehn. Neun ungenutzte Chancen, Gott zu erfahren und ihm zu danken. Neun ungenutzte Chancen, wirklich durch Dankbarkeit ein wenig glücklicher zu werden im Leben. Doch nur einer begreift es von den zehn.
Ich, einer von den neun – oder dieser eine von den zehn?


Pfarrer Stefan Mai

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