Erntedankfest Kiga 2005

„He, mir senn doch net im Kinnergardn!“ Wenn diese Mahnung fällt, dann heißt das soviel: „Jetzt führt euch nicht so auf!“ Wahrlich, viel zugetraut wird der Arbeit im Kindergarten in diesem häufig zitierten Spruch nicht. Was da geschieht, ist ein bisschen Kinderkram, ein bisschen Spielerei, nicht so ernst zu nehmen. Denn der eigentliche Ernst des Lebens beginnt ja erst nachher, das eigentliche Lernen beginnt erst mit der Schule. Für mich ist es zudem verräterisch, wenn die Berufsbezeichnung von „Kindergärtnerin“, einem symbolischen Bildwort, in eine Funktionsbezeichnung „Erzieherin“ geändert wurde.

Und doch weiß es inzwischen der Dümmste, welch wichtige Bedeutung im Leben eines Menschen gerade die ersten Lebensjahre eines Kindes haben. Jeder weiß, dass die Erfahrungen der Kinderzeit das Fundament bilden, auf dem der Mensch sein Lebenshaus aufbaut. Jeder weiß, dass die Wärme und Geborgenheit, die ein Kind erfahren darf, wie eine wohltuende Wärmflasche das ganze Leben begleiten können. Jeder weiß, dass gerade im Kindergarten durch die Begegnung mit anderen Kindern wichtiges Sozialverhalten ausprobiert und eingeübt wird. Und jeder weiß, dass Kinder gerade im unverzweckten Spiel Kreativität und Intelligenz entwickeln.

Unsere Kindergärtnerinnen wissen um diese große Verantwortung, Leben zu fördern. Sie wissen, welch hohes und wertvolles Gut ihnen mit den Kindern anvertraut ist. Sie wissen um die Herausforderung und um die Schönheit, junges Leben in seine Entwicklung zu beobachten und zu begleiten. Sie können – wie Gärtner nicht die äußeren Bedingungen und das Wetter ändern können – auch nicht die Lebensumstände von Familien und Kindern ändern, aber sie können Kinder in einer Suche nach einer bestmöglichen Entwicklung zur Seite stehen.

Unsere Kindergärtnerinnen sind sich bewusst, dass ihnen in unserem großen Kindergarten die Kinder nicht nur von den Eltern, sondern als großes Geschenk Gottes an unsere Welt anvertraut sind, so wie dem Menschen in der alten biblischen Erzählung der Garten Eden anvertraut wurde. Sie wissen: Wir haben den Auftrag, dieses Geschenk zu pflegen. Sie wissen: Die anvertrauten Kinder verdienen großen Respekt und Zuneigung: Sie verdienen es, dass man sich Sorgen um sie macht. Sie verdienen es, dass man ihnen mit Vertrauen begegnet und in sie die Hoffnung setzt, dass auch diese Kinder später ihren Lebensraum wie einen gottgeschenkten Garten pflegen und hüten.

Ich denke, nicht nur einer Kindergärtnerin steht es gut an, wie ein Gärtner an das Leben heranzugehen, so wie es die große mittelalterliche Mystikerin Johanna von Norwich rät:

Sei ein Gärtner.
Grabe und hacke, mühe dich und schwitze,
wende die Erde um und suche Tiefe,
wässre die Pflanzen beizeiten.
Führe die Arbeit fort und lasse süße
Fluten fließen und edle Früchte entspringen.
Nimm diese Nahrung und diesen Trunk
und trag ihn zu Gott als deine wahre Anbetung.


Heute am Erntedankfest tragen unsere Kindergärtnerinnen ihr Schwitzen und ihre Mühe, ihr Überlegen und ihre eigene Suche nach Tiefe im Leben hin zu Gott. Sie kommen aber vor allem mit ihren Dank für alles, was sie erfahren und ernten durften. Was ist das anderes als Gebet?
Ich bin überzeugt: Diese gläubige Haltung unserer Kindergärtnerinnen ist die Seele und das Geheimnis unserer Vorzeige-Einrichtung. Und dafür danke ich heute Gott von ganzen Herzen.


Pfarrer Stefan Mai

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