„Im Himmel erfreut sich jeder der Erwählten des Glücks der anderen.“

Predigt zur Einweihung des Klettergartens in Üchtelhausen zum 25. Sonntag im Jahreskreis (Mt 20,1-16a)

„Bist du neidisch, weil ich zu anderen gütig bin?“, mit dieser Frage provoziert Jesus seine Zuhörer im heutigen Evangelium. O ja, der Neid nagt an vielen Herzen, raubt Lebensfreude, stimmt missmutig, macht depressiv oder aggressiv. Der Neid ist einer der zerstörerischsten Kräfte auf unserem Planeten. Er ist weitaus tiefer in uns Menschen verwurzelt, als wir zugeben.
Es ist kein Zufall, dass die zweite Geschichte, die in der Bibel erzählt wird, die Geschichte von Kain und Abel, eine Neidgeschichte ist. Ganz drastisch weist sie auf die Folgen dieser „schlimmsten aller menschlichen Krankheiten“ hin, wie der griechische Dichter Euripides den Neid nennt. Es ist kein Zufall, dass der Neid in den 10 Geboten zwei Gebote erhält, obwohl dem Ehebruch und Mord nur ein Gebot gewidmet ist. Es ist kein Zufall, dass der Neid in der klassischen Theologie seinen Platz auf der exklusiven Liste der 7 Todsünden hat. Denn der Neid ist eine zerstörerische Kraft des sozialen Lebens.
Wie viele Menschen machen anderen und sich selbst das Leben damit schwer oder andere und sich selbst sogar kaputt. Da kann der Volksmund noch so vor ihm warnen:
„Der Blick des Neids sieht zu seiner eigenen Pein
nur alles Fremde groß und alles Eig’ne klein.“
Aber kein Mensch ist gegen den Neid gewappnet.
Neid zeigt sich nur selten unter seinem wahren Namen. Er zeigt sich in uns als Verbitterung, als übertriebenes Kritisieren der anderen, als Unfähigkeit, jemanden zu loben, als angeborenes Hindernis, uns am Glück der anderen zu freuen, als Unfähigkeit, für die vom Glück Begünstigten dasselbe Mitgefühl zu empfinden wie die vom Unglück Verfolgten, als das unbestimmte Gefühl der Erleichterung, wenn ein prominenter Mensch in einen Skandal verwickelt ist, als das Gefühl, vom Leben betrogen worden zu sein und als Unruhe, durch die wir unser Leben ständig als zu klein und erdrückend empfinden. So zeigt sich uns der Neid.
Oft gebärdet er sich sogar als Anwalt für die Gleichheit der Menschen und kann es nicht aushalten, wenn der andere scheinbar besser dasteht, seine Kinder gescheiter sind, es leichter hat, sein Aussehen schöner ist, für die gleiche Arbeit mehr Geld bekommt oder einen bequemen Job schiebt. Und am Ende versucht der Neid, den anderen klein zu halten, ihn in der Entwicklung zu hemmen und nichts Gutes zu gönnen. Nichts befriedigt das Auge des Neiders mehr als die Demütigung der anderen.
Ein Fischer fand dafür ein anschauliches Gleichnis. Er meinte: Für Krebskörbe braucht man keinen Deckel. Immer wenn sich eines der Tiere anschickt, die Innenwand des Korbes zu erklimmen, holen die anderen es mit ihren Zangen sofort wieder herunter. Die Menschen machen es ähnlich. Sie können einfach nicht mit ansehen, wenn einer höher klettert.
Die große Frage ist: Wie kann Neid überwunden werden? Wie kann Verständnis dafür wachsen, dass der andere mit dem, was er mir voraus hat, zugleich mir und anderen eine Hilfe ist? Aber wie davon wegkommen, keinem zu gönnen, dass er höher hinaus steigt. Wie davon wegkommen, ihn sofort wieder herunter zu zerren, anstatt zu versuchen, mit ihm Barrieren zu überwinden?
Liebe Leser, heute wird in Üchtelhausen der neue Hochseilgarten der Schweinfurter Caritas eingeweiht. Kinder und Jugendliche, Manager und Ehepaare, Teams, die in Büros und Fabriken zusammenarbeiten, werden hier klettern, Kräfte miteinander messen und Spaß miteinander haben. Aber vor allem werden sie im Spiel lernen, dass sie selbst nur dann nach oben kommen können, wenn sie den anderen nicht herunterzerren, wie die Krebse im Korb, sondern sich gegenseitig helfen und unterstützen. „Viele Übungen; sind so angelegt, dass sie nur gemeinsam bewältigt werden können. Jeder einzelne ist auf die Zusammenarbeit der anderen angelegt. Die Teilnehmer erfahren, was es bedeutet, in Gruppen zu arbeiten, eigene Ideen einzubringen und die Ergebnisse gemeinsam zu vertreten“ (so heißt es im Flyer „Hochseilgarten Üchtelhausen“).


Was in diesem Klettergarten als Spaßtag für Kleine und Große gedacht ist, ist in meinen Augen eine gute Schule für das Leben, eine Anti-Neid-Schule. Denn das kann man dort lernen:
Schwierige Hochseilakte können wir nur gemeinsam schaffen.
Wenn einer nach oben kommen will, braucht er die Hilfe der anderen.
Wenn einer ein waghalsiges Stück überwinden will, muss er durch andere beraten und abgesichert sein.
Wenn einer nicht einsam und allein auf der Spitze sitzen bleiben will, muss er den anderen ebenso helfen, hoch zu kommen.
Liebe Leser, von dem großen mittelalterlichen Theologen Thomas von Aquin stammt der Satz: „Im Himmel erfreut sich jeder der Erwählten des Glücks der anderen.“ Ich glaube fest daran: Wo Menschen sich gegenseitig nach oben bringen, dort kehrt ein Stück Himmel auf dieser Erde ein.


Pfarrer Stefan Mai

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