Geheimtipp a la Paulus

Predigt zum 23. Sonntag im Jahreskreis (Röm 13,8-10)

Einleitung

Wenn meine Geschwister und ich als Kinder nicht so gefolgt haben, wie meine Mutter es sich gewünscht hätte, wenn wir auf ihre Bitten einfach nicht gehört haben, dann wurde sie schon mal lauter. Hat auch das nichts genützt, dann hat sie uns manchmal aus Enttäuschung oder Wut mit den Worten angefahren: „Macht doch, was ihr wollt!“
„Liebe und tue, was du willst!“ Diese Worte stammen vom heiligen Augustinus. Sie klingen aber ganz anders als die mahnende Worte meiner Mutter, auch wenn sie sich nur in einem Wort unterscheiden. Wenn ihr in der Lesung aufpasst, werdet ihr merken, von wem der große Augustinus seinen Ratschlag abgeschaut hat.

Oder: In meinem Terminplaner gibt es vor dem Tageskalendarium ein erstes Blatt. Meine Ziele für dieses Jahr 2005 steht darauf. Der Herausgeber dieses Kalenders ist überzeugt: Wenn du in einem Satz zusammenfassen kannst, was dir in diesem Jahr ganz wichtig ist, dann wird sich dein Ziel tief in dein Hirn und Herz eingraben und wird ganz unbewusst die vielen kleinen Entscheidungen und Begegnungen im Alltag mitbestimmen. Wie ein entscheidendes Stichwort wird dich dieser Satz begleiten.

Predigt

Du sollst nicht die Ehe brechen!
Du sollst nicht töten!
Du sollst nicht stehlen!
Du sollst nicht begehren!
„Schon wieder diese Sätze. Ich kann es nicht mehr hören, dauernd dieses „du sollst nicht, du darfst nicht, du musst!“ Seit dem Lernen der 10 Gebote im Religionsunterricht geht mir dieser Ton auf den Keks. Die Kirche mit ihren tausend Verboten. Mit ihrem andauernden „das darfst du nicht!“ Eine Dauernörglerin und ewige Grantlhuberin. Man hat den Eindruck, der Kirche bereitet es große Freude, das Leben zu vermiesen, dauernd auf Dingen und Verhaltensweisen herumzuhacken, die man nicht tun darf. So empfand vielleicht heute mancher oder manche wieder einmal mehr, als diese Verbotssätze aus dem Paulusbrief vorgelesen wurden.

Damit hätten wir aber Paulus gründlich missverstanden, denn er rahmt diese Verbote mit zwei Sätzen ein. Vorneweg heißt es: „Wer den andern liebt, hat das Gesetz erfüllt.“ Und hintennach: „Die Liebe tut dem Nächsten nichts Böses. Also ist die Liebe die Erfüllung des Gesetzes.“ Paulus, der alle Gesetze des Judentums in- und auswendig konnte, möchte mit diesen zwei Sätzen den Sinn aller Gebote und Verbote auf den Punkt bringen und den Christen von Rom eine einfache Lebensregel an die Hand geben. Er tut hiermit etwas Ähnliches, was sein berühmter Zeitgenosse, Rabbi Hillel, getan hat. Als diesen einmal ein Schüler fragte: „Rabbi, kannst du mir in der kurzen Zeit, in der ich auf einem Bein stehen kann, erklären, was in unserer Religion wichtig ist?“ gab Hillel zur Antwort: „Du sollst Gott lieben und den Nächsten wie dich selbst. Das ist die Zusammenfassung des Gesetzes. Alles andere ist nur Ausfaltung!“ Genauso meint Paulus: Wenn du dich an diese große Zusammenfassung hältst: Die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes, dann steht dein Denken und Tun unter einer großen Lebensperspektive. Dann steht dein Leben unter einem großen Vorzeichen, das alles, was du tust und wie du mit Menschen umgehst, bestimmt. So wie wir es in der Mathematik gelernt haben: Das Vorzeichen, das vor der Klammer steht, bestimmt alles, was in der Klammer steht. Paulus ist überzeugt: Wenn du dein Leben nach diesem Leitsatz „die Liebe ist die Erfüllung des Gesetzes“ ausrichtest, dann brauchst du dir nicht andauernd tausend Ge- und Verbote ins Gedächtnis rufen, dann findest du automatisch den richtigen Weg.


Vor einem müssen wir uns allerdings hüten. Mit dem Wort „Liebe“ meint Paulus nicht: „Seid alle nett zueinander!“ oder gar: „Piep, piep, piep, wir haben uns alle lieb!“ Paulus meint ganz nüchtern damit: Wer zu anderen fair ist, der erfüllt alle Gebote. Fairness ist die Erfüllung des Gesetzes. Mit diesem Slogan gibt Paulus einen Geheimtipp mit auf den Weg für ein Leben, in dem ein Miteinander und Füreinander gelingen kann. Er rät ganz einfach: Stell dir vor, ich möchte einfach zu Menschen fair sein, auch zu dem, den ich gar nicht so richtig mag, dann hast du kapiert, was unser Glaube von uns wünscht. Wenn dir dieser Leitsatz „Die Fairness ist die Erfüllung aller Gebote“ in Fleisch und Blut übergegangen ist, dann wirst du einen anderen nicht auslachen, weil er so tollpatschig ist, dann wirst du ihn nicht bloßstellen, dann wirst du ihm keine reinwürgen, wenn er dich geärgert hat.

Liebe Kinder, ich bin überzeugt: Wenn ich solche Leitsätze in mir trage wie „wer zu anderen fair ist, der hat das Wesentlichste unseres Glauben verstanden“, dann steht mein Denken und Handeln automatisch unter einem guten Vorzeichen. Dann können ich und der andere menschlich miteinander leben.

Anstelle der Fürbitten

„Die Fairness ist die Erfüllung des Gesetzes!“

Es spielt jetzt leise Musik.

- Musik einblenden oder Orgelmeditation –

Schließ bitte langsam die Augen und stelle dir dabei das Gesicht eines Menschen vor, mit dem du dich schwer tust, den du vielleicht gar nicht magst. Sprich dabei die Sätze, die du jetzt hörst, still in dich hinein:

Auch er ist ein Mensch wie du...
Auch er möchte fair behandelt werden wie du...
Auch er möchte wie du gute Worte hören...
Auch er möchte wie du geschätzt werden...
Auch er möchte wie du ernst genommen werden...


Pfarrer Stefan Mai

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