Ich wüsste es gern...

Predigt zum 17.Sonntag im Jahreskreis (Mt 13,44-46)

„Fragen“, so nennt Lothar Zenetti, der bekannte ehemalige Großstadtpfarrer von Frankfurt, seine folgenden Gedanken:

Zuweilen, beim Lesen der
Bibel, schaue ich auf und
hänge so meinen Gedanken nach.

Zum Beispiel wüsste ich gern,
wie das weiterging damals
mit diesem Brautpaar aus Kana.
Man sollte vermuten, sie seien,
nachdem so ein Wunder geschehen,
ausnehmend glücklich geworden.
Weiß man da Näheres? Lebten sie
später noch immer aus dieser
unerschöpflichen Quelle der Liebe?
...
Ich wüsste es gern.



Ich kann mich Lothar Zenetti nur anschließen. Ich wüsste es gern, wie so manche Geschichten, die Jesus erzählt hat, wirklich weitergegangen und ausgegangen sind. Ich wüsste es gern, ob der störrische, daheim gebliebene Bruder wirklich auf die Einladung seines Vaters hin ins Haus gegangen ist, mit seinem heimgekehrten Bruder einen getrunken hat, oder stur geblieben ist, oder gar einen Streit mit Vater und Bruder provoziert hat. Ich wüsste es gern, wie das Leben von vielen Geheilten, das doch wider Erwarten auf den Kopf gestellt wurde, weitergegangen ist, ob sie ihr Leben daraufhin dankbarer empfunden haben, ob sie für die Nöte und Sorgen ihrer Mitmenschen hellhöriger geworden sind oder ob schnell wieder alles vergessen war und das große Wunder schnell vom Alltag wieder eingeholt wurde?

Ich wüsste auch gern, wie es mit dem armen Schlucker weiterging, der völlig unverhofft bei seiner Arbeit als Tagelöhner auf einen großen Schatz stieß und daraufhin alles verkaufte, um in den Besitz dieses Ackers zu kommen. Ich wüsste es gern, was hat er mit dem Schatz gemacht, war sein Glücksgefühl von Dauer, hat sich dadurch in seinem Leben etwas zum Besseren verändert?

Ich wüsste es gern, ob die Freude des Kaufmanns über die schöne Perle von Dauer war oder ob mit der Zeit die Gewöhnung kam, ob der Kaufmann diesen Schatz hegte und pflegte oder ihn dann doch eines Tages weiterverkaufte?

Ich wüsste es gern, weil ich mich selbst kenne und auch etwas die Menschen. Wie schnell kann man sich an ein schönes Bild, das einen einmal fasziniert hat und eine große Freude war, einfach gewöhnen, ohne noch etwas großes dabei zu empfinden.
Irgendwann kommt der Punkt, an dem die Routine sich in die Ausübung des Traumberufs einschleicht, für den man so viel investiert hat und bei dem man überzeugt war, voll darin aufzugehen und alles zu geben. Fast 20% der Berufstätigen haben in Deutschland in ihrem Beruf innerlich gekündigt.
Wie bitter enttäuscht sind oft Menschen, die ungeheuer viel Kraft und Zeit in ihr Ehrenamt investiert haben und dann doch merken, wie wenig Dankbarkeit sie ernten und sich deswegen enttäuscht zurückziehen. Nicht für möglich gehalten hätten es viele Menschen, dass sie den Menschen, den sie einmal „Schatz“ oder „Schatzi“ nannten, 20 Jahre später vor anderen mit „mein Alter“ oder „meine Alte“ betiteln.
Mit Schwung und Elan beginnen heute unsere 9 Kommunionkinder ihren Ministrantendienst und wie schnell kann der Glanz des Anfangs dem Grauschleier der Alltäglichkeit weichen.

Ja, ich wüsste es gern, wie es mit dem Tagelöhner weiterging, der den großen Schatz entdeckte, und mit dem Kaufmann, der wegen der schönen Perle überglücklich war. Ich bin mir sicher: Der Evangelist Matthäus stellt diese Gleichnisse nicht umsonst mit ihrem offenen Ende an den Schluss seines Gleichniskapitels. Er gibt uns diese Botschaft mit auf den Weg: Sei dankbar, wenn dir etwas Schönes im Leben zufällt, aber vergiss zugleich nie: „Was man als Gnade empfing, muss immer nochmals als Treue erworben werden.“ (Karl Rahner)

(Nach einer Idee von Ralf Preker, PuK 4/2005, S. 546f)


Pfarrer Stefan Mai

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