… und lernt von mir

Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis (Mt 11,25-30)

Einleitung

Ich kann mich noch gut an den ersten Tag an der Ecole Biblique, dem berühmten Bibelinstitut in Jerusalem, erinnern. Der damalige Direktor, Raymond Tournay, legte uns gleich am ersten Abend ans Herz: Il faut toujours apprendre. Man muss immer lernen. Er als Professor meinte damit natürlich: Setzt euch auf euren Hosenboden und nutzt jede Stunde hinter den Büchern! Aber es gibt auch noch eine andere Art von Lernen. Sie wird uns im heutigen Evangelium ans Herz gelegt.

Predigt

Du musst lernen, lernen, lernen …

„Du musst lernen, lernen, lernen, sonst bringst du’s zu nichts!“ Wie oft hören Kinder diesen Satz. „Du lernst nicht für uns, du lernst für dich“, hält die Mutter ihrer Tochter vor, die möglichst schnell mit den Hausaufgaben fertig werden will, um sich mit ihren Freundinnen zum Spielen zu treffen. Wenn du weiterkommen willst im Leben, dann musst du etwas gelernt haben! Und Eltern nehmen es ernst: Vor Klassenarbeiten werden Extra-Lern-Stunden eingelegt. Der Lerncomputer steht bereit, in der Hoffnung, dass sich Kinder überlisten lassen: Wenn Hefte und Bücher sie anöden, dann könnte die Technik noch einen Reiz ausüben. Und dann gibt es noch Zusatzförderprogramme am Nachmittag: Am Montag, 15 Uhr, Musikschule: Klavierunterricht. Am Dienstag, 14 Uhr: Termin beim Ergotherapeuten. Am Mittwoch, 17 Uhr: Ballett. Am Donnerstag, 16 Uhr: Nachhilfeunterricht in Mathematik. Und am Samstag sagt die Mutter schon besorgt: „Du hast doch die ganze Woche noch kein Klavier geübt!“ Sie klappt den Klavierdeckel hoch, richtet den Stuhl zurecht und schiebt ihre Tochter ans Klavier.
Du musst lernen, lernen, lernen. Seit Pisa scheint die Welt noch verrückter als zuvor. Überall werden neue Bildungsprogramme aus dem Boden gezaubert, die Lehrer noch besser ausgebildet, noch mehr psychologisch geschult. Schon von Kindergärtnerinnen wird erwartet, dass sie von Anfang an die Weichen für einen nahtlosen Übergang in die Schule stellen.
Was mich wundert ist: Warum lernen Kinder bei diesen Möglichkeiten, Förderprogrammen und tollen Methoden immer weniger gern? Ich frage mich: Warum wissen sie immer weniger trotz verbesserter Methoden? Warum werden Kinder immer ängstlicher, obwohl Lernpsychologie so groß geschrieben wird? Was fehlt da?
Ich schlage vor: Wir gehen jetzt einmal gemeinsam bei zwei anderen Lehrern in die Schule. Bei einer Frau und einem Mann. Auch sie haben die Devise: Du musst lernen, lernen, lernen. Und: Je früher, desto besser. Aber sie haben andere Ziele vor Augen. Ihnen geht es nicht um die steilste Karriere, sondern um gelingendes Leben. Und sie wenden andere Methoden an. Beide sagen: Lernt von mir!

Die Schule einer Frau

Im Zelt des Beduinen Salem am Sinai saß ein Gast aus Deutschland und fragte Salem nach seiner Familie: „Wo ist denn deine Kleinste?“ Salem antwortete: „Sie geht zur Schule.“ „Zur Schule?“, fragte der Gast. „Ein Kind von drei Monaten geht zur Schule? Und dazu noch hier mitten in der Wüste?“ „Ja, sie geht zur Schule“, wiederholte Salem. „Die Mutter trägt sie im Rückentuch. Und nun sind sie miteinander unterwegs. Und Helala lernt die Stimmen der Ziegen und die Farben der Erde. Und den Geruch des Wassers und die Spuren im Sand. Das muss sie unterscheiden können, sonst kann sie hier nicht leben.“

Die Schule eines Mannes

Auch im heutigen Evangelium wird dazu eingeladen, in die Schule zu gehen. Aber da wird nicht dazu aufgefordert, möglichst viel Stoff zu absolvieren. Sondern Jesus lädt mit den Worten ein: Lernt von mir! Schaut euch an meinem Leben etwas ab! Und da gibt es viel zu lernen:
Das erste und wichtigste ist das Tun, nicht das Reden.
Was du tust, tu ohne Berechnung!
Wovon du überzeugt bist, steh dafür ein, auch wenn es sich scheinbar nicht auszahlt!
Lass dich nicht blenden von den scheinbar Großen und Tüchtigen, die sich so gern in den Mittelpunkt stellen, sondern schau vor allem auf die Schwachen und Kleinen, die am Rand stehen!
Merk dir: Auch von Leuten, die nicht ins Schema passen, kannst du etwas lernen, sogar von großen Halunken.
Lass dich nicht verbiegen!
Lass dich anstecken von dem unverschämten Grundvertrauen Jesu, über das andere nur müde lächeln konnten, das ihn aber bis zum Ende getragen hat.
Im Evangelium nach Matthäus heißt es: Lernt von mir! Denn ich bin gütig und von Herzen demütig. So werdet ihr Ruhe finden für eure Seelen (Mt 11,29).

Fürbitten

Jesus, wenn wir auf deine Worte hören, gehen wir in deine Schule. Wir bitten dich:
Lass mich lernen von dir! A: Lass mich lernen von dir!

V: Durchhalten. A: Lass mich lernen von dir!
V: Entschiedenheit. A: Lass mich lernen von dir!
V: Ehrlich sein. A: Lass mich lernen von dir!
V: Die guten Seiten an anderen entdecken. A: Lass mich lernen von dir!
V: Sich nicht verbiegen lassen. A: Lass mich lernen von dir!
V: Güte ausstrahlen. A: Lass mich lernen von dir!
V: Sich trauen, Position zu beziehen. A: Lass mich lernen von dir!
V: Weitermachen trotz Enttäuschtwerden. A: Lass mich lernen von dir!
V: Vertrauen. A: Lass mich lernen von dir!


Pfarrer Stefan Mai

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