„Willkommen in Holland“

Predigt zum 13. Sonntag im Jahreskreis (Mt 10,37-42)

„Willkommen in Holland“, so heißt die Geschichte von einer Frau, die davon träumt, im sonnigen Italien zu leben. Und eines Tages entschließt sie sich, dort ihre erträumte Existenz aufzubauen. Sie setzt sich ins Flugzeug und ihre Gedanken kreisen um die Sonne. Aber komisch! Als sie aussteigt, ist Schmuddelwetter. Statt strahlendem Sonnenschein trüb und regnerisch. Statt wohltuender Wärme ungemütlich kalt, statt hügeliger Toskanalandschaft bretteben. Und da hört sie die Stimme der Flughafensprecherin: „Willkommen in Holland“. Enttäuschung pur. Am liebsten wäre sie gleich wieder postwendend umgekehrt, sie wollte doch in einem Paradies landen und leben, in einem Land voller Sonne, voll Wärme, in einem Land mit angenehmer Atmosphäre.
Aber wider Erwarten bleibt sie. Sie lernt in diesem Land, das so anders ist als sie es erträumt hat, die Windmühlen kennen und ist mehr und mehr von den Mühlenlandschaften fasziniert. Sie entdeckt, dass ein Rembrandt, ein Vincent van Gogh hier geboren wurden und beschäftigt sich mit ihren Bildern und sie lernt mit der Zeit die raue Seeluft der Nordsee schätzen. Eigentlich träumte sie von einem ganz anderen Land, aber sie spürt, auch in diesem nicht selbst ausgesuchten Land lässt sich viel Schönes, viel Bereicherndes entdecken. Auch in diesem Land gibt es ein sinnvolles Leben.

Diese Geschichte stammt aus der Feder einer Frau, die sich riesig auf ein gesundes Kind freute, doch dann ein schwer behindertes Kind zur Welt brachte. Mit dieser Geschichte umschreibt sie, wie ihr großer Traum zerplatzte und sie gegen ihren Willen in ein ganz anderes Leben geführt wurde, in das sie nie wollte. Sie beschreibt aber auch mit dieser Geschichte, wie sie in diesem aufgezwungenen Leben mit ihrem behinderten Kind Lebensdimensionen entdeckte, die sie selbst bereicherten und das harte Schicksal tragen helfen. Sie beschreibt mit dieser Geschichte, wie sie nicht aus der Lebenslandschaft floh, in die sie wider Willen geführt wurde, sondern sie anzunehmen versuchte.

Ich denke genau das ist der Sinn des schwierigen Satzes, den Jesus im heutigen Evangelium als Rat mit auf den Weg gibt: „Nehmt euer Kreuz auf euch!“ Ich weiß, was vielen Menschen an Kreuzen zugemutet wird. Solche Kreuze lassen das Leben oft sinnlos erscheinen, machen mutlos und rauben die Lebensfreude.

Aber ich ahne zugleich, dass dieser Rat Jesu „Nimm dein Kreuz auf dich!“ vielleicht doch eine Hilfe zu einem gelungenen Leben oder wenigstens zum Bestehen eines schweren Lebens sein kann. Denn dieser Rat weiß darum: Nur wer sein Kreuz auch bewusst annimmt, kann damit leben und sich bewegen, auch wenn das Kreuz ständig auf seiner Schulter spürt. Nur der kann nach Trauer, Enttäuschung, in einer schweren Krankheit sich mit den auferlegten Einschränkungen im Leben abfinden und sich dem Leben stellen und in eine tiefere Lebensdimension durchstoßen, ohne dauernd zu klagen, im Selbstmitleid zu versinken oder stumpf zu resignieren. Nur der kann sich neue Lebensmöglichkeiten erschließen, auch wenn sie eingeschränkt bleiben. Er wird vielleicht künftig ernster sein, nicht mehr so ausgelassen sein können wie früher, aber er kann leben, mit einer ganz anderen Lebenssicht.
Viele Behinderte, Kranke, ans Bett gefesselte, viele, die mit einem schweren Verlust oder einer Riesenenttäuschung im Leben fertig werden müssen, entwickeln eine Gelassenheit, manchmal sogar eine Heiterkeit, die Menschen, die vom Leben begünstigt oder verwöhnt wurden, beschämen kann. Gerade diese Menschen sagen mir, was die mittelalterliche Theologie in Anlehnung an den Kreuzesnachfolgespruch Jesu auf die Formel bringt: „Man wandelt nur, was man annimmt!“


Pfarrer Stefan Mai

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