Jesu Pastoralkonzept

Predigt zum 11. Sonntag im Jahreskreis (Mt 9,36-10,8)

In Krisenzeiten besinnen sich Organisationen, Firmen und Institutionen, betreiben Ursachenforschung über mangelnden Erfolg und fragen sich, wie könnte wieder ein Weg aus der Sackgasse gefunden, wie ein Signal zu einer neuen Aufbruchstimmung gesetzt werden. So auch in der Kirche. Es werden große Analysen zur gesellschaftlichen Entwicklungen angestellt; gefragt, warum kommt unsere Botschaft nicht mehr richtig an; was brauchen und erwarten Menschen von heute, wie könnte Kirche darauf reagieren. Es werden Leitziele formuliert, Pastoralpläne erarbeitet, nach dem spezifischen Auftrag und Profil von Kirche und nach Umsetzungsschritten in der Pastoral gefragt.

Von einer pastoralen Notlage hören wir auch im heutigen Evangelium. Lapidar wird festgestellt: „Als Jesus die vielen Menschen sah, hatte er Mitleid mit ihnen. Denn sie waren müde und erschöpft wie Schafe, die keine Hirten haben. Da sagte er zu seinen Jüngern: Die Ernte ist groß, aber es gibt nur wenig Arbeiter.“ Und wir hören vom Pastoralkonzept, das Jesus angesichts dieser Analyse formuliert. Es besteht nur aus wenigen Worten: „Geht“, „verkündet“, „heilt“. „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben.“

„Geht!“ sagt Jesus. Das heißt doch: Bleibt nicht in euren Häusern und Gemäuern sitzen. Kirche ist eine Bewegung und kein Wartesaal. Es ist zwar löblich, wenn Angebote gemacht werden. Wenn Kirche zum Ausdruck bringt: „Wenn es dir gut tut, dann komm.“ Aber das reicht nicht, zu Veranstaltungen einzuladen, auf Gutwillige zu warten. Hin zu den Menschen ist der Auftrag: in die Gemeinden, in die Schulen, in die Familien, zu den Kranken, zu denen, die sich wertlos und verloren fühlen. „Der Weg der Kirche ist der Mensch.“ Dieser Satz, den Johannes Paul II. seiner Kirche in ihr Stammbuch geschrieben hat, wird unvergesslich bleiben.

„Verkündet!“ sagt Jesus. Das heißt: Menschen einladen, sich auf die Botschaft und Gedankenwelt Jesu einzulassen. Sie ermuntern, seiner Botschaft zu trauen, die sich in vielen Dingen von gängigen Lebenskonzepten unserer Zeit unterscheidet und gerade deshalb ihren besonderen Reiz hat. Verkünden, das heißt: ohne große Worte davon Zeugnis geben, dass diese Botschaft dich selbst trägt: dir Vertrauen, Impulse zum Nachdenken gibt, dich anstachelt, wenn du müde geworden bist, zu einem neuen Anfang ermuntert, wenn du schuldig geworden bist, neu motiviert, wenn du in deinem Bemühen erfolglos warst. Und eines ist klar, das Verkünden wird nur Auswirkung haben, wenn andere merken, dass die Botschaft, die du ausrichten möchtest, dich selbst ergreift und dir Freude macht. Recht hat Bert Brecht, wenn er meint: „Kein Mann, dem seine Sache keine Freude macht, darf erwarten, dass sie irgendjemanden sonst Freude macht.“

„Heilt!“ Das heißt: Entscheidend wird sein, ob Kirche eine Atmosphäre schaffen kann, die angstfrei ist, ob es in ihr nicht nur Platz für die Starken und Vitalen, sondern auch für die Verwundeten und Gebrochenen gibt. Wenn ich Jesus richtig verstehe, dann soll Kirche nicht nur ein Präventivraum sein, in dem darauf hingearbeitet wird, ein Hort der Tugend zu sein, in dem nichts hinein darf, was nicht sein darf. Sondern vor allem ein Raum, in dem Menschen auf- und durchschnaufen können, nach Scheitern wieder neues Zutrauen zu sich und anderen finden können.

Und am Ende des eingängigen Pastoralkonzepts stehen wie eine große Zusammenfassung allen pastoralen Tuns die Worte: „Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben“. Wenn ich diese Worte Jesu richtig verstehe, dann sind die Menschen die besten Verkünder seiner Botschaft, die sich selbst ungeheuer beschenkt vorkommen. Die werden etwas ausstrahlen können, die in Dankbarkeit und Freude und einer gewissen Selbstverständlichkeit einfach weitergeben, was sie als unverdientes Geschenk empfinden. Nicht als große Tat, die andere zum Staunen bringen soll, sondern als Pflicht und Schuldigkeit in einer Selbstverständlichkeit, die kein großes Aufheben macht. Denn dann wäre Kirche ein Ort, wo ein Kreislauf von Geben und Nehmen entsteht, wo Menschen einander ergänzen und einander „dienlich“ sind.

Liebe Leser, wenn wir heute in den Diözesen pastorale Leitlinien formulieren, dann sind die in dicken Schubern nachzulesen. Ob ich sie mir merken kann, steht auf einem andern Blatt. Jesus braucht nur wenige Worte: „Geht! Verkündet! Heilt! Umsonst habt ihr empfangen, umsonst sollt ihr geben!“ Die bleiben mir im Kopf!


Pfarrer Stefan Mai

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