Loblieder aus der Tiefe des Herzens

Christmette 2004

Jahrhunderte lang war das Kloster Anziehungspunkt jener Gegend. Von weither kamen die Menschen, um mit den Mönchen Gottesdienst zu feiern, in der Stille der Kirche Trost zu finden und wieder gestärkt den Weg nach Hause anzutreten.
Aber schon lange war niemand mehr ins Kloster eingetreten. Hoffnungslose Überalterung. Und einer nach dem andern war weggestorben. Jeder hinterließ eine große Lücke. Nur noch ein paar alte Mönche waren übrig geblieben. Sie waren nach wie vor begeistert für ihren Dienst und sangen regelmäßig und aus ganzem Herzen das Lob Gottes.
Doch es kam kaum noch einer in ihre Gottesdienste, weil sie so abscheulich falsch sangen. Es war nicht verwunderlich. Denn der eine von ihnen war schwerhörig, und aus Angst, mit den anderen nicht Schritt halten zu können, sang er immer etwas voraus. Ein anderer bekam kaum noch Luft, um kräftig mitzusingen und legte immer wieder Pausen ein. Einer hatte schließlich nur noch eine einzige tiefe schöne Note in der Kehle und er gab immer mit Leidenschaft alles, was er besaß. So sehr sie sich also auch mühten, es wurde kein schöner Lobgesang. Die Mönche spürten den stummen Vorwurf der Besucher, die immer öfter ausblieben.
Das Weihnachtsfest näherte sich wieder einmal. Bis spät in die Nacht hatten die Mönche gebetet. Da klopfte es an die Tür. Ein junger Mann stand halb erfroren auf der Schwelle. Er war abgehetzt und schien auf der Flucht und war heilfroh, als sie ihm Unterschlupf gewährten. Beim Essen erzählte er dann, er sei ein guter Sänger. Darüber freuten sich die alten Mönche. Sie sagten: Du könntest für uns in der Mitternachtsmesse singen, dann werden alle, die kommen, in heller Freude zuhören. So war es auch. Der junge Mann sang so schön, wie in dieser Gegend noch nie gesungen wurde. Alle lauschten ergriffen. Den Mönchen liefen die Tränen übers Gesicht, so gerührt waren sie und die Gottesdienstbesucher gingen beglückt nach Hause.
In der Nacht aber erschien dem Abt ein Engel im Traum. Er sah so traurig aus. „Was ist geschehen“, fragte der Abt den Engel. „Wir durften im Himmel in der heiligen Nacht euren herrlichen Gesang nicht hören“, gab der Engel zur Antwort. „Wir – und herrlicher Gesang?“, lachte der Abt und winkte ab. „Wir singen doch alle falsch. Keiner will uns mehr hören. Ich bin ein Brummer. Bruder Kanisius hat kein Gehör mehr. Und Bruder Leo kann kaum mehr schnaufen.“ Der Engel aber schüttelte den Kopf und sagte: „Wir im Himmel können nur die Loblieder hören, die aus der Tiefe eines Herzens kommen. Und gestern Abend haben wir davon nichts gehört.“

Liebe Leser,
wie oft sind wir den Mönchen seelenverwandt, fühlen uns als Brummer, als Stümper, als eine, die nie mithalten kann und immer schnaufend hinterher hinkt. Wie oft möchten wir auch Aufsehen Erregendes bewerkstelligen, Aufmerksamkeit auf uns ziehen und einfach vor den anderen gut dastehen.
Nach der Mönchsgeschichte aber zählt vor Gott nicht, was „ankommt“, was gut klingt, was vor Menschen Beifall findet. Schön ist vor Gott, was aus der Tiefe des Herzens kommt. Nicht was äußerlich schön ist, sondern was ehrlich gemeint ist.
Was könnte ich in dieser Nacht aus der Tiefe meines Herzens vor Gott tragen, auch wenn es mir noch so banal erscheint?

Lied „Ich steh’ an deiner Krippen hier“ intonieren
Kind tritt an die Krippe und spricht:


Du Kind in der Krippe, ich komme heute zu dir mit meinem Lachen. Ich weiß oft selber nicht, warum ich so kichern muss. Manchmal rege ich andere damit auf. Aber oft stecke ich sie damit auch an. Und sie müssen dann auch lachen.
Und ich habe noch etwas. Du weißt doch, wie gern ich quassele. Ich könnte immerzu reden. Und mir fällt auch immer was ein. „Jetzt halt doch endlich mal deinen Mund!“, muss ich mir manchmal anhören. Aber das Reden ist einfach so schön.
Du Kind in der Krippe, ich danke dir, dass ich lachen kann und dass mir immer etwas zum Reden einfällt.

Lied „Ich steh’ an deiner Krippen hier“ intonieren
Jugendlicher tritt an die Krippe und spricht:


Kleiner, du weißt genau, dass ich’s nicht so mit dir habe. Du weißt, dass ich die Kirche lieber von außen als von innen sehe. Und wenn ich da bin, dann lehne ich mich lässig zurück. Nach außen hin cool sein, das gehört heute einfach dazu.
Aber jetzt mal ehrlich gesprochen: Eigentlich sieht’s da drinnen bei mir ganz anders aus. Ich finde, solche Typen wie dich sollte es mehr geben! Leute, die nicht einfach mitschwimmen, die nicht nur aufs Geld schielen und andern nach dem Mund reden.
Kleiner, ich danke dir, dass ich den Draht zu dir bis heute nicht verloren habe und mir manches Wort von dir einfach nicht aus dem Kopf geht. Bleib weiter dran an mir!

Lied „Ich steh’ an deiner Krippen hier“ intonieren
Erwachsener tritt an die Krippe und spricht:


Du Kind in der Krippe, ich komme zu dir als Putzlappen der Familie, als Kummerkasten, als Animateur, als Vermittlungsinstanz zwischen Alt und Jung, als Feuerwehr, die da sein muss, wenn’s brennt. Das kostet ganz schön Kraft. Aber es macht mich auch glücklich, die erwartungsvollen Gesichter meiner Kinder zu sehen. Ich genieße das Vertrauen, das sie zu mir haben. Und ich bin stolz, welche Fortschritte sie machen – und wenn ich sehen darf, dass ihnen manches wichtig wird, was mir selbst ganz wichtig ist.
Du Kind in der Krippe, ich danke dir für die Kraft, die du mir schenkst.

Lied „Ich steh’ an deiner Krippen hier“ intonieren
Älterer Mensch tritt an die Krippe und spricht:


Du Kind in der Krippe, ich gehöre zu den Vertretern mit den weißen Haaren. Aber ich muss sagen: Auch das Alter hat noch seine Freuden. Ich habe Zeit zum Reisen, ich kann endlich in aller Ruhe meinen Interessen nachgehen. Ich habe viel Zeit zum Nachdenken. Niemand drängt mich. Und ich kann anderen Freude bereiten.
Ich weiß, dass das alles nicht selbstverständlich ist. Und dafür, Kind in der Krippe, danke ich dir in dieser Nacht.

GL 141,1 „Ich steh’ an deiner Krippen hier“ gemeinsam singen


Pfarrer Stefan Mai

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