Christus ist geboren, das ist lange her. Uns beschäftigt anderes doch viel mehr.

Impulse zum 4.Adventssonntag 2004 (mitgestaltet durch den Seniorenkreis)

Jesus selbst wurde nicht alt. Er starb mit gut dreißig Jahren. Um am eigenen Körper die Prozesse des Alterns zu erleben, dafür ist er zu früh gestorben. Er hat auch nie groß über das Alter diskutiert oder philosophiert und nie Lebensratschläge für alte Menschen erteilt. Zudem war er äußerst autoritätskritisch und hätte nicht gefühlsgeladene Liedtexte wie „Ich habe Ehrfurcht vor schneeweißen Haaren geschrieben“. Autorität sprach er nicht nach Alter, Stellung oder Verdienst zu, sondern dem, der stimmig lebte. Er würde meiner Meinung nach alten Menschen heute auch nichts anderes sagen als allen anderen. Er würde wie alle anderen auch sie einladen zu einem fast unverschämten Vertrauen in Gott, der weiß, was ich in meinem Leben brauche und der mich im Leben trägt. Und er würde wie allen anderen auch alten Menschen sagen: Folge mir nach, gehe denen Lebensweg in meinen Spuren.

Jesus hat alten Menschen keine Patentrezepte an die Hand gegeben, wie sie die Zeit des Alterns sinnvoll gestalten könnten. Aber es gibt alte Menschen, die aus dem Glauben an ihn heraus ihr Alter annehmen und es im Glauben bewältigen. Ein Beispiel dafür ist für mich der Theologe Karl Rahner. Vor 20 Jahren interviewte ihn zu seinem 80. Geburtstag der Journalist Karl Krauss. Wie Karl Rahner als gläubiger Mensch antwortete, beeindruckt mich.

„Wie erleben Sie die Zeit des Alterns?“ wurde der 80-jährige gefragt und Karl Rahner meinte:
„Es gibt natürlich sehr viel Leute, gerade heute, die löbliche und etwas herbeigezerrte Lobsprüche über das Alter machen. Es gibt auch ein beruhigtes Alter, ein reifes, ein abgeklärtes Alter, ein – vielleicht – schönes Alter, in dem man auf sein Leben zurückblickt. Aber es gibt auch ganz nüchtern das Alter, das immer näher dem Tod entgegengeht. Ein Alter, in dem man abgebaut wird. Ein Alter, in dem man da oder dort, in dieser oder jener Hinsicht den Eindruck hat, auf das tote Geleis geschoben zu werden. Ein Alter, in dem man mühsam eben das Ende seines Lebens kommen sieht, mit diesem Alter, meine ich, muss ein Christ auch illusionslos, nüchtern fertig werden...“
„Könnten Sie sich auch mit der Tatsache abfinden, dass Sie vielleicht am Tag noch nicht einmal mehr eine halbe Stunde geistig arbeiten könnten?“, fragte der Journalist weiter.
Karl Rahner: Vom heiligen Albertus Magnus erzählt man, dass er am Schluss seines Lebens seine große Theologie vergessen hatte, die in unendlich vielen Bänden heute noch gespeichert und neu editiert wird, und dass er nur noch das „Gegrüßet seist du, Maria“ beten konnte. Gut, wenn es einem so geht, dann muss man auch damit fertig werden. Wenn man wirklich auf dem Sterbebett liegt, hört ja eben alles auf. Vielleicht sogar das Reagieren-Können auf eine solche Situation. Wenn auch dies einem entzogen ist, dann ist es ja erst recht gut. Dann befindet man sich, meine ich, erst recht in der Hand Gottes, nicht mehr in der eigenen. Und in der Hand Gottes ist man besser geborgen und gerettet als dort, wo man meint über sein eigenes Leben selbstherrlich verfügen zu können.“

„Mit dem Älterwerden geht da auch die Einsamkeit einher?“, fragt der Journalist weiter. Karl Rahner: „Bis zu einem gewissen Grad schon. Man soll da nicht lyrisch sich bedauern, sondern auch da wiederum nüchtern sehen, dass man in einer Umgebung lebt, die lebendiger ist als man selber, die Aufgaben hat, bei denen man nicht mehr mitarbeiten kann, so dass man dann also bis zu einen gewissen Grad vereinsamt. Damit muss man auch rechnen. Aber wenn es früher die Wüstenväter gab, die bewusst und zielstrebig schon in jungen Jahren in die Einsamkeit der Wüste zogen und darin noch einen Lebenssinn, nämlich den eines betenden Verhältnisses zu Gott fanden, dann kann man ja im Alter mit der Einsamkeit seines Lebens auch noch fertig werden.“

„Herr Professor Rahner, haben Sie Angst vorm Tod?“ interessiert den Interviewer. Und Karl Rahner darauf: „Ich würde sagen, ich darf das Recht haben, Angst vor dem Tod zu haben. Jesus hat es im Ölgarten schließlich auch so erfahren. Ich kann jetzt im Augenblick nicht behaupten, ich hätte eine fürchterliche Angst vor dem Tod. Es geht mir Gott sei Dank noch zu gut, nicht wahr. Aber wie gesagt, eine letzte freie Verfügung oder ein letzter stoischer Appell, als ob einem als Christen von vorneherein eine Angst vor dem Tod verboten wäre, das kann ich nicht anerkennen. Ich warte ab! Wenn ich Angst vor dem Tod habe, werde ich mich mit meiner Angst in Gottes Gnade geben, und wenn ich diese Angst nicht habe, dann ist es auch gut. Es gibt sicher Leute, die sehr angstlos sterben. Aber eben, ob das eine oder das andere Sterben verfügt ist, das ist auch noch einmal eine Sache, die nicht in meine Kompetenz fällt.“

Liebe Leser, vier Wochen nach diesem Interview war Karl Rahner tot.


Pfarrer Stefan Mai

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