Jesus ist geboren, das ist lange her. Uns beschäftigt anderes doch viel mehr

Predigt zum Familiengottesdienst am 2. Adventssonntag (Evangelium: Mk 9,33-37)

Eines ist klar: Jesus war kein Familientyp. Er ist zwar in einer Familie in Nazaret groß geworden, hat aber selbst keine Familie gegründet. Ein Affront in der jüdischen Gesellschaft. Denn ein jüdischer Rabbi musste verheiratet sein.
Jesus war kein Familientyp. Nach dem Lukasevangelium hatte der Jugendliche schon seine eigene Vorstellungen, die mit den Vorstellungen seiner eigenen Familie nicht überein gingen.
Jesus war kein Familientyp. Nach dem Markusevangelium hatte die eigene Familie Angst, er spinnt und ist von Sinnen, und wollte ihn deswegen von seinem Freundschaftsclan, den er als seine eigentliche Familie bezeichnete, gewaltsam zurückholen.
Jesus war kein Familientyp. Er ließ im besten Mannesalter das Zuhause „Zuhause“ sein, schmiss sein Handwerk hin und ließ seine Eltern daheim hocken. Unerhört für jüdisches Empfinden. Es ist nicht leicht zu sagen, was er heutigen Familien zu sagen hätte, was er ihnen in ihren Lebenssituationen und Lebensbedingungen, in ihren Problemen und Schwierigkeiten raten würde.
Eines jedoch scheint mir klar zu sein: Jesus war überzeugt, dass es einen Kreis von vertrauten Menschen um sich braucht, um das Leben sinnvoll zu gestalten, nicht um ein bisschen Fun zu haben, sondern um Ideen zu spinnen, Ideale miteinander zu teilen, Lebenskraft für deren Verwirklichung einzusetzen. Jesus war überzeugt, es braucht Menschen, die um einen sind, auf die ich mich verlassen kann, die zu mir stehen und mit mir auch für die gleiche Sache durch dick und dünn gehen. Und es braucht einen Ort, an dem ich mich austauschen kann, Wichtiges bereden, klar stellen und klären kann. Und so begegnet uns in den Evangelien ein Phänomen auf Schritt und Tritt. Immer wieder heißt es: „Als er dann im Haus war, fragte er sie“(Mk 9,33) oder „ zu Hause befragten ihn die Jünger nochmals darüber“ (Mk 10,10). So wird auch für Jesus das Zuhause mit seinen Freunden zu einer großen Lebensschule, zu einer Schule, in der diskutiert und experimentiert wird, wie Menschen sinnvoll miteinander leben können. Und immer wieder geht es um ein Thema: Wer ist der Größte? Und immer wieder bläst Jesus in das gleiche Horn: „Wer der erste sein will, soll der Letzte von allen und der Diener aller sein.“ (Mk 9,35)
Ich denke, auch heute würde Jesus dies Familien wünschen, nicht verkopfte Lehranstalten sondern praktische Lebensschulen zu werden, nicht wo schön für einen gesorgt wird, sondern die Sorge umeinander eingeübt wird. Ich glaube, er würde Familien heute zu einem Kontrastprogramm zu dem ermuntern, was in unserer Gesellschaft so unangefragt und gefragt zugleich ist: Wie komme ich am besten raus und zum Zug, wie komme ich am besten nach vorne oder nach oben, wie komme ich am leichtesten auf meine Kosten?
Er würde Familie als einen Ort unter Menschen sehen, wo ich einüben kann, einander dienlich und füreinander da zu sein. Auch heute würde er seiner Linie treu bleiben:
Nicht wer die größte Karriere macht ist der Größte, sondern wer ein gutes Auge für die anderen hat. Nicht wer am meisten verdient, verdient die größte Anerkennung, sondern der, der sich nicht zum Dienen zu schade ist.
Nicht der ist der Größte, wer in der Öffentlichkeit am besten herauskommt und dessen Name bekannt ist, sondern der ein gutes Ohr für die Bedürfnisse der Menschen um ihn herum hat. Nicht der oder die zählt etwas, wer etwas zu sagen hat, sondern der oder die, die eine wohltuende Atmosphäre, ein angstfreies und menschliches Klima um sich verbreiten, in dem Menschen sich entfalten können.
Ich denke, die größte Anfrage Jesu an unsere Familien von heute wäre die: Lassen sich Familien von heutigen Modetrends einfach diktieren und mitziehen oder haben sie den Mut und die Kraft, zu echten Lebensschulen zu werden, die unsere Gesellschaft in ihren Werten wieder neu prägt?


Jesusfragen 2

Wenn sich im Leben alles nur noch um die Schule dreht, dann ist der Kopf besetzt, aber das Herz leer.

Wenn die Firma zum Zuhause wird, dann verliert das Zuhause an Qualität.

Seid einmal ehrlich: Wollt ihr wirklich Zeit für Ruhe, Zeit für Stille, wollt ihr wirklich Atem holen und nicht hetzen – oder habt ihr Angst davor?

Es dauert lange, bis der Kopf etwas begreift, aber bis das Verstandene den Weg zum Herzen findet und im Alltag verwirklicht wird, dieser Weg ist doppelt so lang.


Pfarrer Stefan Mai

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