Das Spiel mit dem Tod

Predigt zum 33. Sonntag im Jahreskreis im Rahmen der Ausstellung „Sinndeutungen des Todes“

„Spiel mir das Lied vom Tod“ so lautet der Titel eines berühmten Westerns und so manchem von uns ist die Titelmelodie noch im Ohr. „Spiel mir das Lied vom Tod“ – das ist nicht nur ein berühmter Westerntitel, mir scheint, dieser Titel könnte auch die Umschreibung eines neuen Fernsehtrends der letzten Zeit sein. Sendungen wie „Big Brother“ sind abgenudelt, es braucht neue Kicks. Und dafür boomen auf RTL 2 Sendungen wie „Akte Mord“ oder „Autopsie – Mysteriöse Todesfälle“, auf Vox „C.S.I. – Den Tätern auf der Spur“. Und Gerichtsmediziner avancieren im RTL-Krimi „Sektion – Die Sprache der Toten“ zu TV-Stars und zeigen Drastisches. Längst ist im Fernsehen der Tod anschauliches Material für das permanente Unterhaltungsprogramm geworden. Der Tod ist unterhaltsam geworden und schreckt nicht mehr. Das ist die Lektion von Krimiserien, in denen die Zuschauer zur festgesetzten Zeit am Freitag Abend zur festgesetzten Zeit den Tod ins Wohnzimmer liefern lassen. Und selbst der biedere Nachrichtenschauer ist todesneugierig. Denn auch Nachrichten setzen Katastrophen, Unfälle und Kriege dramatisch und üppig ins Bild, weil sie wissen, die Zuschauer wollen durch Fernsehnachrichten nicht nur informiert, sondern unterhalten werden. Und die Nachrichtenmacher wissen, dass nach dem bewährten Motto „Only bad news is good news“ der Tod in vielen Nachrichtensendungen zum journalistischen Highlight wird. Die Dürreopfer in Afrika, die Toten im Irak und die Verkehrs- und Katastrophenopfer sind nicht mehr Menschen, über deren Tod man trauert, sondern Medienalltag. Kein Krieg, kein Schicksal ist so schrecklich, kein Mord so schockierend, dass er vom Nachrichtensprecher nicht mit einem „Und jetzt das Wetter“ sofort wieder neutralisiert wird. Der Zuschauer hat sich daran gewöhnt, dass auf dem Bildschirm der Tod in inflationärer Häufigkeit auftritt. Überspitzt ausgedrückt: Die Tagesschau, die Reportagen und das Unterhaltungsprogramm leben geradezu davon, dass die Fernsehzuschauer zu Beobachtern und Zeugen von Todesfällen aller Art werden.

Während Sterben und Tod auf der Mattscheibe ganz nah in die TV-Wohnstuben gebracht wird, ist in der eigenen Lebensgeschichte der Kontakt mit Sterbenden oder Toten unpersönlich geworden. Der Tod dringt täglich über die Bildschirme in die Wohnzimmer der Fernsehzuschauer, aber das wirkliche Sterben und der wirkliche Tod ist dem Menschen fremd geworden. Man will ihn von ferne in seinem Wohnzimmer sehen, aber wenn er direkt in die eigene Familie kommt, dann tun sich Menschen immer schwerer, mit ihm umzugehen und fertig zu werden. Nach aktuellen Umfragen beobachten Kinder und Jugendliche vor ihrem 18.Lebensjahr im Fernsehen durchschnittlich 18.000 Tode. Aber im persönlichen Leben werden viele Menschen mit dem direkten Tod eines Angehörigen erst mit über 30 Jahren konfrontiert und sind dann hoffnungslos überfordert. Wohl keine Generation hat so viel Tod auf dem Fernsehen von ferne gesehen, aber auch keine Generation tut sich mit ihm so schwer wie die unsere, wenn der Tod in der Nähe einschlägt. Der Tod auf dem Fernsehen kennt keine Ernsthaftigkeit, kommt spielerisch, leicht und unterhaltsam daher. Er macht nicht mit dem Leben ernst. Er ist immer nur der Tod des anderen. Die Todesbilder im Fernsehen erzeugen beim Zuschauer nur im ersten Moment Betroffenheit, aber dann sagt er sich sofort: Dieser Tod ist gespielt oder so weit weg, dieser Tod trifft mich nicht. Und gerade durch diesen Mechanismus hält sich der Vielfernseher die Auseinandersetzung mit dem realen Tod vom Leib, im wahrsten Sinn des Wortes „fern“. Wenn die Nachricht vom Tod eines lieben Menschen eintrifft, ist das ganz anders, als wenn Tausende von Toten in Nachrichtenbilder gezeigt werden. Das Sterben im Fernsehen bringt für den Menschen keine Hilfe, wie er dann wirklich mit dem Sterben in seiner nähesten Umgebung fertig werden muss. Das Fernsehen zeigt ihm nicht die Ohnmacht und die Unsicherheit am Sterbebett. Es zeigt ihm keine Verhaltensmuster, wie kann ich mit Sterbenden umgehen, wie kann ich seine Sprachbilder verstehen, worüber und wie mit ihm reden. Das Sterben und den Tod hautnah erleben, das ist himmelweit entfernt vom Zuschauen des Todes am Fernseher. Denn dann bricht die Zuschauerrolle weg und ich bin knallhart und unausweichlich in aller Ohnmacht, in allem Durcheinander der Gefühle, in beißendem Schmerz der härtesten Realität im Leben, dem Tod, Auge in Auge konfrontiert. Am Fernsehen kann ich mich zurücklehnen oder die Bilder einfach wegzappen. Ich muss nie direkt reagieren oder eingreifen. Aber wenn ein Sterbender oder Toter vor mir liegt, dann kapiere ich es erst, was es heißt, mit dem Sterben und Tod konfrontiert zu sein.

Liebe Leser, ich weiß nicht, an wie vielen Sterbebetten Sie schon stehen mussten, wie viele Tode Sie tief in ihrer Seele getroffen haben und wie viele Sie verarbeiten mussten. Aber ich denke, Sie werden mir beipflichten: Wer hier davon läuft, der läuft dem Leben davon. Wer hier standhält, findet ein Stück mehr zu sich selbst. Denn zum Leben gehört das Sterben. So hart es ist, was die Dichterin Hilde Domin in einem ihrer bekannten Gedichte beschreibt, es stimmt: An jedem Sterbebett bekommen wir einen kostbaren Unterricht, den nur das ungeschminkte Leben bieten kann. Ihr Gedicht heißt „Unterricht“:

Jeder der geht
belehrt und ein wenig
über uns selber.
Kostbarster Unterricht
an den Sterbebetten.
Alle Spiegel so klar
wie ein See nach großem Regen,
ehe der dunstige Tag
die Bilder wieder verwischt.

Nur einmal sterben sie für uns,
nie wieder.
Was wüssten wir je
ohne sie?
Ohne die sicheren Waagen
auf die wir gelegt sind
wenn wir verlassen werden.
Diese Waagen ohne die nichts
sein Gewicht hat.

Wir, deren Worte sich verfehlen,
wir vergessen es.
Und sie?
Sie können die Lehre
nicht wiederholen.

Dein Tod oder meiner
der nächst Unterricht:
So hell, so deutlich,
dass es gleich dunkel wird.

(Anregend zur Thematik der medialen Inszenierung des Todes
war für mich das Buch von ELISABETH HURTH, „Alle Toten auf ihre Plätze“)


Pfarrer Stefan Mai

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