Nomen est omen

Predigt zur Feier des Patroziniums St. Maximilian Kolbe am 10.10.2004

Ein Tag Ende Juli 1941 in Auschwitz: Im Block 14 fehlte ein Gefangener. Die Häftlinge wussten, was das bedeutete: Dezimation, zehn Leben für einen Flüchtigen. Am darauffolgenden Morgen mussten die Häftlinge von Block 14 auf dem Appellplatz des Lagers in Reih und Glied anstehen. Den ganzen Tag über ließ man sie in der prallen Sonne stehen. Als sich am Abend der Lagerführer Fritsch mit einer Gruppe von Wachsoldaten den Gefangenen näherte, fiel tiefes Schweigen über die Runde. Todesgedanken und Funken der Hoffnung schossen durch die Köpfe der Anwesenden. Vielleicht hat der Lagerführer doch seine Meinung geändert. Doch Fritsch hielt unwiderruflich an seiner getroffenen Entscheidung fest: „Da der gestrige Flüchtling noch nicht zurückgekehrt ist, werden zehn von euch sterben.“ Dann lief der SS-Mann durch die Reihen und wählte blindlings die Opfer aus, indem er mit dem Finger auf sie deutete. Da schrie einer der Zehn mit erstickter Stimme: „Meine Frau, meine Kinder, was wird aus meiner Familie?“ In diesem Augenblick löste sich eine schmächtige Gestalt aus den Reihen und ging auf den Lagerführer zu, der sofort nach dem Revolver griff und ihn anschrie: Bleib stehen, was ist los?“ Alle blickten neugierig und entsetzt auf Maximilian Kolbe. Dieser schaute Fritsch tief in die Augen und sagte mit leiser, aber entschiedener Stimme: „Ich möchte seine Stelle einnehmen. Er hat Frau und Kinder. Ich bin allein und alt.“ Der Lagerführer war verblüfft und fragte ihn: „Wer bist du?“ Kolbe antwortete: „Ich bin katholischer Priester.“ „Geh“, fuhr Fritsch den Familienvater an und Maximilian Kolbe und die anderen neun wurden in den Hungerbunker geführt.

War diese heroische Tat Maximilian Kolbes der Entschluss einer Sekunde? War sie die Folge eines überwältigenden Mitleidgefühls? Oder war sie Ausdruck einer lang gewachsenen Lebenseinstellung und Spiritualität? Ich bin überzeugt: Eine solche Tat ist kein Zufall, kein unüberlegter Schnellschuss, kein überschwänglicher Heroismus. Eine solche Tat hat tiefere Wurzeln. Dazu gehört für mich schon allein der Taufname von Maximilian Kolbe. Die Verehrung des Namenspatrons als anspornendes Beispiel für ein christliches Leben war in Polen eine sehr gepflegtes Frömmigkeitsideal. Über seinen Namenspatron hat man sich zuerst im Elternhaus, dann im Religionsunterricht und später in Büchern gründlich informiert. Es war damals Brauch, einem neugeborenen Kind den Namen des Heiligen zu geben, der gerade am Tag des Geburtstages im Heiligenkalender stand. Am 7. Januar 1894, dem Geburtstag des kleinen Kolbe stand auf dem liturgischen Kalender Raimund.

Raimund von Penafort war ein aus Spanien stammender Dominikaner und lebte im 13.Jahrhundert. Zu seinen großen Lebensaufgaben gehörte es, für den neuen Orden der Merzedarier 1225 die Ordensregel zu verfassen. Der Merzedarier-Orden sah es als seine Aufgabe, christliche Sklaven aus der Gefangenschaft der islamischen Sarazenen durch Lösegeld (lateinisch „merces“) freizukaufen oder selbst als eheloser Priester für einen verheirateten Christen in die Gefangenschaft zu gehen. In seinem Namenspatron Raimund begegnete der spätere Maximilian Kolbe zum ersten Mal dem Thema der „Stellvertretung“ für einen anderen Menschen. Und dieses Thema ließ ihn auch in seinem späteren Leben nie mehr los. Immer wollte er für seinen Glauben Zeugnis geben und in der Mission einmal für diesen Glauben sterben.

Was mir an diesem Punkt des Lebens unseres Kirchenpatrons Maximilian Kolbe wieder einmal deutlich wird, ist: Was Kinderseelen einmal berührt, das prägt sich tief ein und lässt sich nicht so schnell ausradieren. Diese innere Berührung entwickelt sich aber erst zu einer Lebenshaltung, wenn sie eingeübt und weitergeübt wird. Kindliche Eindrücke spuren oft die späteren Straßen des Lebens und Glaubens vor. Und Glaube zeigt dort am ehesten Früchte und Größe, wo kindliche Begeisterung, kindliche Eindrücke in einem lebenslangen exercitium, einer lebenslangen Übung zu einer inneren Haltung werden, aus der heraus ich in wichtigen Augenblicken meines Lebens die Entscheidungen treffe.


Pfarrer Stefan Mai

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