Eine verpasste Chance

Predigt zum 26. Sonntag im Jahreskreis (Lk 16,19-31)

Die Einführung unseres neuen Bischofs Friedhelm Hofmann am vergangenen Sonntag im Würzburger Kiliansdom fand in der Öffentlichkeit großes Interesse. Schon im Vorfeld gab es große Reportagen über unseren neuen Bischof im Bayerischen Fernsehen und in den Zeitungen. Mit riesigem Aufwand und perfekter Organisation wurden die Vorbereitungen auf den Tag der Einführung unseres Bischofs betrieben, Tausende von geschmackvoll gestalteten Einladungskarten wurden an Ehrengäste, Pfarrer, das gesamte Seelsorgpersonal und die Beschäftigten im Ordinariat, an Kirchenpfleger und an Pfarrgemeinderatsvorsitzende verschickt. Und Tausende kamen. Ich gehörte als Dekan zu den Privilegierten mit einem reservierten Platz im Hochchor des Domes. Mit feierlichen Orchesterklängen zog der liturgische Dienst ein, wohlgeordnet, voraus Weihrauchwolken und -duft, dahinter die Alumnen des Priesterseminars und die Domvikare in Schwarz, das Würzburger Domkapitel in Violett und am Ende des Zuges viele Bischöfe und vier Kardinäle in Rot, die den neuen Bischof im Kiliansornat zum Altar geleiteten. Fast zehn Minuten lang begrüßte Weihbischof Helmut Bauer die Ehrengäste. Mit einer modernen Messe des Würzburger Komponisten Hummel wurde Musik von höchster Konzertqualität geboten.
Doch trotz Elitevertreter aus Kirche und Politik, trotz musikalischer und liturgischer Brillanz, trotz geschmackvoll gestaltetem Liedheft in den Händen spürte ich in meinem Bauch: Da fehlt etwas. Da fehlt die Seele, das Gefühl, das packt. Und andauernd die Frage in mir: Was ist denn das entscheidende Pünktchen, das den erlösenden Funken überspringen lässt? Schnell war mir klar: Da wird zu viel konzertant musiziert, da müssten die Mitfeiernden mehr Lieder schmettern dürfen, selbst mehr aktiv dabei sein dürfen.
Aber den eigentlichen Schlüssel zur Lösung dieser Frage lieferte für mich das Nachdenken über das heutige Evangelium vom reichen Mann und dem armen Hund Lazarus. Dem Gottesdienst fehlten die einfachen Leute, und es fehlten die Armen. Die Einführung unseres neuen Bischofs hat ein exquisites Publikum unter sich gefeiert. Zugelassen war am Ende doch nur, wer Rang und Namen in der Öffentlichkeit hat. Einlassbedingung in den Dom war ein Amt oder eine Funktion im öffentlichen oder kirchlichem Leben. Das einfache Volk und erst recht die Modernisierungsverlierer unserer Gesellschaft waren unerwünscht. Sicherlich hat selbst ein Dom ein begrenztes Fassungsvermögen, aber sie haben einfach gefehlt: Rollstühle, die Laute von behinderten Menschen, Kinderstimmen, einfache Gemüter, die vor lauter Neugier sich bis in den Altarraum drängen, ein paar von den Hunderten von den Menschen ohne Wohnsitz in Würzburg.

Gott sei dank kamen sie wenigstens in der Predigt des Bischofs noch vor, die schwer behinderte Sandra, die mit 18 auf dem Krankenbett mit großem Schmerzen gefirmt werden wollte und aus der es in der Firmfeier elementar herausbrach: „Großer Gott, wir loben dich“. Und die schwarzen Slumbewohner von Nairobi, die mitten im Elend die anwesenden Deutschen während eines Gottesdienstes mit ihrer überbordenden Glaubensfreude beschämten. Aber sie haben im Gottesdienst einfach gefehlt, die Armen mit ihrem eigenen Gesichtsausdruck, mit ihren Stimmen, mit ihrem neugierigen Verhalten, mit ihrer Art, ihrem Glauben Ausdruck zu geben.

Liebe Leser,
der Dichter Erich Fried hat einmal geschrieben: „Wenn ihnen etwas zu nahe geht, rufen sie: Das geht zu weit!“ Heute am Caritassonntag, an dem das Evangelium vom Reichen verlesen wurde, der sich abschottet und die Armut vor seiner Tür nicht an sich heranlässt, frage ich mich: Trifft das auch auf uns als Kirche zu? „Wenn ihnen etwas zu nahe geht, rufen sie: Das geht zu weit!“ Armut, Leid, Not gehen immer nahe und deswegen schützen wir uns gerne. Aber eines habe ich wieder deutlich beim Einführungsgottesdienstes unseres Bischofs kapiert. Wenn wir in der Kirche keine Orte haben, an denen wir der Armut ins Auge schauen müssen, dann geht auch die Lebendigkeit des Lebens verloren, dann führt das unweigerlich in Gefühlsverflachung und Lebensverarmung. Keimfreies Leben gibt es nicht. Entweder – so ein geflügeltes Wort – riskiert man Läuse oder Langeweile.


Pfarrer Stefan Mai

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