Sie hat sich verduftet

Rundfunkpredigt am Tag Mariä Himmelfahrt 2004

Mittelalterliche Stadtfeste mit Gauklern, Troubadouren, Handwerksgilden, Tanzgruppen und Minnesängern sind heutzutage im Festkalender unserer Städte recht beliebt und ein wahrer Magnet. Die Zuschauer fühlen sich in eine scheinbar romantischere Zeit versetzt und in manchem steigt eine Sehnsucht nach diesen alten Zeiten auf. Doch eines wird meist ausgeblendet, was Patrick Süßkind in seinem Roman „Das Parfum“ beschreibt, nämlich welch unvorstellbarer Gestank im Mittelalter in den Städten herrschte:

Die Straßen stanken nach Mist, die Hinterhöfe nach Urin. Es stanken die Treppenhäuser nach fauligem Holz und nach Rattendreck, die Küche nach verdorbenem Kohl und Hammelfett, die ungelüfteten Stuben stanken nach muffigem Staub und die Schlafzimmer nach fettigen Laken, nach feuchten Federbetten und nach dem stechendsüßen Duft der Nachttöpfe. Aus den Kaminen stank der Schwefel, aus den Gerbereien die ätzenden Laugen, aus den Schlachthöfen das geronnene Blut. Die Menschen stanken nach Schweiß und nach ungewaschenen Kleidern, aus dem Mund stanken sie nach verrotteten Zähnen, aus den Mägen nach Zwiebelsaft und an den Körpern, wenn sie nicht mehr ganz jung waren, nach altem Käse und saurer Milch und nach Geschwulstkrankheiten. Es stanken die Flüsse, die Plätze, es stanken die Kirchen, es stank unter den Brücken und Palästen. Der Bauer stank wie der Priester, der Handwerkgeselle, die Meistersfrau, es stank der gesamte Adel und der König auch.

Ein prägendes Beispiel: Eine stinkende Gerberstadt hüllt sich in eine Duftwolke
Auch für die Stadt Grasse in der französischen Provence, die heute noch als Weltmetropole des Parfums und als das Paradies der Düfte angesehen wird, traf dieses Geruchsbild zu. Ursprünglich war Grasse im Mittelalter eine Stadt der Gerber für feinste Lederwaren, insbesondere für Ziegen und Lammleder. Allerdings zahlte sie dafür einen hohen Preis. Sie tauchte in unvorstellbaren Gestank ein, denn die Lamm- und Ziegenhäute wurden in einer Brühe aus Urin, Tiergalle, Eichenrinden, Lauge und sonstigen unappetitlichen Chemikalien gegerbt.
Die wundersame Wandlung vom stinkenden Gerberort in eine Stadt, über der heutzutage ein zarter Duft von Parfum liegt, verdankt Grasse der Tatsache, dass den feinen Lederwaren seinerzeit der Geruch von Urin und Chemikalien nicht ohne weiteres auszutreiben war. Deswegen ging man nach und nach dazu über, den penetranten Gestank mit Wohlgeruch zu überdecken. Spezialisten kamen in diese Stadt und gewannen aus den zahlreichen duftenden Pflanzen in dieser Gegend ätherische Öle, mit denen die Lederwaren parfumiert wurden. Die Oberschicht war von den duftenden Lederwaren begeistert und bald wuchs der Wunsch, diese wohlriechenden Essenzen auch zum Überdecken anderer unliebsamer Gerüche zu verwenden. Dies war die Geburtsstunde der Grasser Parfumerie. Und die Parfumeure verdrängten nach und nach die Gerber.

Eine große Sehnsucht: Duft statt Gestank
Düfte anstatt unliebsamer Gerüche, Wohlgeruch anstelle von Gestank, danach sehnt sich der Mensch. Die Sehnsucht nach Düften ist groß. „Düfte so leicht wie eine Sommerbrise, so zärtlich wie eine laue Maiennacht, so sanft wie der Regen an warmen Sommerabenden, rot wie die Liebe. Entdecken Sie die neuen, verlockenden Düfte des Sommers in Ihrer Parfümerie“, so lese ich in einer Werbebroschüre. Und mit den Düften wird die Erfüllung der Sehnsucht nach Sinnlichkeit, nach heiterer, unbeschwerter Sorglosigkeit, nach Eleganz, nach romantische Stunden und Zärtlichkeit verheißen. Die Attribute der Parfums sind optimistisch, lebendig, strahlend, sprühend, sensibel, blumig, jubelnd, sonnendurchflutet, ein Aufruf zur Lebensfreude. Wer die Parfums benutzt, der hofft, dass sie ihn oder sie für andere anziehender und attraktiver machen. Wer bestimmte Parfums wählt, der möchte schon allein durch die Wahl der Duftnote seine Persönlichkeit unterstreichen und der träumt davon, dass andere ihn gut riechen können. Einer der grausamsten K.O.Schläge unter Kindern heißt: Geh weg, du stinkst.
Die Zeiten sind längst vorbei, dass Frauen aus ihren Handtäschchen nur ihr 4711-Fläschchen herausziehen und einen Tropfen auf die Armkehle oder hinters Ohrläppchen tupfen. Die Parfums werden immer zahlreicher, ihre charakteristischen Duftnoten immer vielfältiger
Und sie begegnen uns überall. Nicht nur in Drogerien und Parfumerien.
In den Autos hängen die Duftbäumchen und zaubern Zitrone-, Aprikose- und Veilchengeruch. Die Duftlämpchen hüllen Wohnungen in Lavendel-, Orange-, Rosmarin-, Rosen-, Zimt- und Vanillegerüche ein. Antirauchsprays versuchen kalten Tabakgeruch zu bannen, Raumsprays frischen Wind in abgestandene Luft zu bringen und auf den Toiletten stehen vielfältige Flüssigkeitserfrischer als Düfte im Kampf gegen die „Düfte“ zur Seite. Gegen den Mundgeruch gibt es Mineralwasser und den Schweiß des Körpers übertönen Sprays und Deos. Und wie viele graut es vor der sprichwörtlichen Krankenhausluft, wie viele können den Geruch von Alten- und Pflegeheimen nicht ertragen. Und der letzte Horrorgeruch ist der Geruch in Leichenhallen. Nicht nur gegen den Tod scheint kein Kraut gewachsen zu sein, gegen den Todesgeruch kommt auch kein Duft an.

Eine Legende: Duftende Blumen statt stinkender Leichnam
Auf diesem Hintergrund unserer Sehnsucht nach Düften und Wohlgerüchen geht mir die alte Legende zum heutigen Festtag Mariä Himmelfahrt in ihrer Bedeutung neu auf. Sie erzählt:

Die Apostel und Jünger umringten das Sterbebett Marias. Da ertönte wunderbare Musik und ein helles Licht erfüllte das Sterbezimmer. Die Apostel warfen sich auf die Knie und Maria breitete segnend ihre Hände über sie aus. Als sie ihre Augen zu den Sternen, die draußen glänzten, erhob, sah sie den Himmel offen und den Menschensohn auf einer Lichtwolke heranschweben. Da strahlte ihr Gesicht und so starb sie.
Am anderen Tag hüllte man ihren Leichnam in ein kostbares Leintuch und die Apostel trugen sie auf ihren Schultern in den Garten Gethsemani und senkten sie dort in ein Grab. Drei Tage lang wachten und beteten sie am Grab mit den Gläubigen. Am dritten Tag erschien Jesus mit einem Engelheer und fragte die Apostel: Was wünscht ihr, dass ich meiner Mutter tun soll? Sie antworteten: Gleichwie du den Tod besiegt hast und ewiglich regierst, so wecke auch du deiner Mutter Leib auf und setze sie zu deiner Rechten in Ewigkeit. Und alsbald stand Maria herrlich auf aus dem Grab und fuhr gen Himmel, geleitet von der Menge der Engel. Der heilige Thomas aber, der nicht anwesend gewesen war, wollte es nicht glauben. Er bat inständig, das Grab zu öffnen, damit er noch einmal das Angesicht Mariens anschauen kann. Auf seine Bitte wälzte man das Felsstück weg, mit dem das Grab verschlossen war. Aber man fand nichts mehr darin als herrlich duftende Blumen.


Wilhelm Willms und Peter Janssens haben diese alte Legende so in Worte gebracht und musikalisch interpretiert:

Zwischenspiel: Die Legende vom Tod Mariens und Song „Sie hat sich verduftet“ aus „AVE EVA oder der fall maria“ von Peter Janssens (5.30 min)

Sie hat sich verduftet, die schönste Blume auf dem Feld. Ein ausdruckstarkes Bild. Das heißt nicht: Maria hat sich verduftet im Sinn von „davongeschlichen“. Ihr Leben ist nicht einfach verflogen, so als ob nichts gewesen wäre. Nein! In diesem Bild steckt die Überzeugung: Das Leben ist mehr als leben, leiden, sterben, vermodern und vergessen werden. Ein Mensch der sich im Leben redlich bemüht, Beziehungen zu gestalten, der hinterlässt wohltuenden Geruch. Es gibt viele Tote, von denen Leben ausgeht, die zu uns herübersprechen. Mein Leben endet nicht im Verwesungsgeruch. Mir wird das immer deutlich, wenn ich an meinem Bücherregal vorbeigehe, manchmal die Tabakdose meines Vaters, die er immer im Arbeitskittel trug, in die Hand nehme, sie öffne und an dem Tabak rieche, der noch seit dem Tag seines Todes in dieser Dose ist und immer noch duftet.

Ein Zeichen: Mariä Himmelfahrt und unser Tod
Gegen Gerüche setzen wir Menschen Düfte, um das Leben als schön und lebenswert zu zeigen und zu empfinden. Und mir kommt es vor: Das Fest Mariä Himmelfahrt möchte dem Todesgeruch, der über jedem menschlichen Leben liegt, einen Duft entgegensetzen, einen Duft des Glaubens. Dieses Fest Mariä Himmelfahrt will keine mariologische Phantasterei sein, sondern vielmehr die konsequente Ausgestaltung unseres Osterglaubens am Beispiel Marias. Mariä Himmelfahrt hat mit unserem hinfälligen Körper, mit unserem menschlichen Leib zu tun. Liturgisch richtig heißt dieses Fest „leibliche Aufnahme Mariens in den Himmel“. Da wird ein sterblicher toter Leib, der zu nichts mehr zu gebrauchen ist, nicht als Abfallprodukt einfach beiseite geschoben. Es wird ihm vielmehr ein neue Würde verliehen. Der menschliche Körper wird mit seinen Gebrechen und Hinfälligkeiten ernst genommen. Denn der Leib trägt die Geschichte eines Menschen, die Spuren seines Lebens, seiner Anstrengungen, seiner Leiden und dessen, worum er sich im Leben bemüht hat. Das heutige Marienfest ist für mich ein sehr optimistisches Fest. Es drückt unseren Glauben aus, dass wir als konkrete Personen ganzheitlich mit Leib und Seele zu Gott kommen. Unsere Person, die sich in unserem Leib ausdrückt, wird aufgenommen in die Herrlichkeit Gottes, fällt im Tod nicht ins Bodenlose sondern in die gütigen Arme Gottes. Wir feiern am heutigen Tag, dass alles, was wir erlebt haben an Liebe und Freude, an Schmerz und Leid, in Gott hineingerettet wird und noch für unsere Welt weiterduftet.
In seinem Gedicht „Mariä Himmelfahrt“ hat Reinhold Schneider das in einprägsamer Sprache ausgedrückt:

Die du den Staub getragen
Als Mantel der Herrlichkeit
Alle Geschöpfe wagen
Zu tasten nach deinem Kleid.

Alle, die sterben müssen,
Vögel und Falter und Frucht,
Bergen zu deinen Füßen
Ihre geängstigte Flucht.

Du aber, Makellose,
Trägst durch das Todesreich
Vögel, Falter und Rose;
Alle Schönheit zugleich.

Alles sterbliche Leben
Leuchtender Erdenzier
Darf deine Glorie weben
Und ist unsterblich in dir.

-Sie hat sich verduftet, Peter Janssens, CD Nr. 14, 1.50 min-

Ein Ziel für Christen: Wohlgeruch für Gott, der Leben verheißt
Nicht nur von Maria geht ein Duft aus. Ein Duft geht von Menschen aus, die an Christus glauben, egal ob dieser Duft Menschen behagt oder nicht. Paulus schreibt:
Dank sei Gott, der uns stets im Siegeszug Christi mitführt und durch uns den Duft der Erkenntnis Christi an allen Orten verbreitet. Denn wir sind Christi Wohlgeruch für Gott unter denen, die gerettet werden, wie unter denen, die verloren gehen. Den einen sind wir Todesgeruch, der Tod bringt; den anderen Lebensduft, der Leben verheißt. Wer aber ist dazu fähig? Wir sind jedenfalls nicht wie die vielen anderen, die mit dem Wort Gottes Geschäfte machen. Wir sind aufrichtig und in Christus, von Gott her und vor Gott. (2 Kor 2,14-17)
Wir sind Christi Wohlgeruch, Christen sind Lebensduft. Welch starkes Bild. Zu diesem Wohlgeruch Christi und zum Lebensduft für Menschen werden wir:

Nach einigen Beispielen wird Instrumentalmusik aus P. Janssens, Ave Eva, Nr.2 unterlegt, 1.50 min

Nicht durch gespielte Freundlichkeit, sondern durch ehrliches Wohlwollen
Nicht durch Besserwisserei, sondern durch bescheidenes Selbstbewusstsein
Nicht durch Glänzen auf allen Gebieten, sondern durch Entfalten der eigenen Begabungen.
Nicht durch anbiederndes Süßholzraspeln, sondern durch entschiedenes Vertreten von Werten.
Nicht durch erfolgreiche Bilanzen, sondern durch ehrliches Bemühen.
Nicht durch Jammern und Schimpfen über die böse Welt, sondern durch das Setzen von positiven Zeichen.
Nicht durch Mitschwimmen auf jeder Modewelle, sondern durch bewusstes Einstehen für die eigene Überzeugung.
Nicht durch fromme Liturgien, sondern durch die Haltung, mit der wir sie feiern.
Nicht durch viel gutklingende Worte, sondern durch Zeichen, die wir setzen.
Nicht durch fanatischen Einsatz, sondern durch Treue, die durchhält.
Nicht durch unsere schönen Weihrauchfässer, sondern durch das Ausstrahlen einer wohltuenden Atmosphäre.

Eines ist auch klar, wir können nur ein wohlriechender Duft für andere sein, wenn wir den Lebensduft selbst riechen können. Diesen Duft möchte ich selbst erleben:

In guten Gesprächen
In bereichernden Beziehungen
Im herzhaften Lachen
In der Schönheit der Natur und der Menschen
In zauberhafter Musik
Im Auskosten von Gefühlen
In anregenden Gedanken
Im Wohlwollen, das mir geschenkt wird
Im Erfolg meiner Bemühungen
In überraschenden Erlebnissen
Durch ein ehrlich ausgesprochenes Lob
Durch entgegengebrachtes Vertrauen
Durch gezeigte Anerkennung
Durch eine Hoffnung, die trägt.

Welch ein himmlisches Geschenk, den Duft des Lebens selbst riechen zu können und für andere ein Wohlgeruch sein zu dürfen. Dies bringen heute vielerorts Menschen in katholischen Gegenden am Fest Mariä Himmelfahrt zum Ausdruck, wenn sie wohlriechende Kräuterbüschel zur Segnung in die Kirche bringen. In Anlehnung an das Segensgebet über die duftenden Kräuter wollen wir beten:

Gott, am Fest der Aufnahme Mariens in den Himmel danken wir dir für alle Wunder deiner Schöpfung. Sie erinnern uns an deine Herrlichkeit und an den Reichtum des Lebens. Schenke auf die Fürsprache Mariens die Gesundheit des Leibes und das Heil der Seele. Nimm von uns die Traurigkeit dieser Zeit. Lass uns zur ewigen Gemeinschaft mit dir gelangen und führe uns zur ewigen Freude. Darum bitten wir durch Christus unsern Herrn.

Song „der Himmel geht über allen auf“ aus P.Janssens, Ave Eva

Segenswunsch:

Die Zeit der Ferien möge dir viel Zeit für all das schenken, wozu sie dir während des Jahres so oft fehlt.
Die Zeit des Urlaubs möge dir helfen, in der Ruhe gelassener zu werden, damit du dich selbst neu finden kannst.
Die Zeit des Verreisens möge dich einladen, die Schönheit der Welt mit neuen Augen zu sehen und dir Muße zu gönnen.
Die Zeit des Ausruhens möge dir zeigen, wie wichtig es ist, ein aufmerksames Herz für die Freude und die Freunde zu haben.
Die Zeit der Sommerpause möge dich erinnern, dass das Leben mehr ist als Arbeit und Ärger, als Last und Pflicht, als Mühsal und Bedrängnis.

Die freie Zeit des Jahres möge dir sagen, dass Gott ein Freund der Freiheit und deines Lebens ist, damit du ihm vertraust.
Die Zeit deines Lebens möge dir immer neu als großes persönliches Geschenk deines Gottes aufgehen und erhalten bleiben.
Das gewähre dir der treue Gott, der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen


Pfarrer Stefan Mai

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