Merkwürdig, wie einige Lehrer prägen

Grußwort zum 25. Jubiläum der Carl Sonnenschein-Schule

In seinem vor kurzem erschienenen Jugendbuch „Moritz und der liebe Gott“ erzählt Johann Hinrich Claussen von Moritz. Seine Eltern haben sich entschlossen, sich zu trennen. Als sein Vater noch einmal in die Wohnung kommt, um die letzten Sachen zu holen, hält es der 12-jährige nicht mehr aus und braust mit seinen Kickboard einfach auf und davon. Zufällig gerät Moritz wegen eines Gewittergusses in eine Kirche und trifft dort eine alte Frau aus dem Altenheim. Eine ungewohnte Freundschaft bahnt sich zwischen Moritz und der fast 90-jährigen Frau Schmidt an. Moritz besucht sie öfter und hört ihr gerne zu, wie sie von ihrem Leben erzählt. Einmal erzählt sie von ihrem Lehrer:

„Meinem alten Volksschullehrer ist es gelungen, uns Kindern den ganzen Glauben mit einer einzigen Handbewegung zu beschreiben. Er legte seine Hände aneinander, so als ob er einen kostbaren Schatz halten und beschützen würden. Dann sagte er zu uns: An Gott glauben, das heißt spüren, dass wir in seiner Hand geborgen sind. Das war alles. Mehr hat er nicht gesagt Aber ich habe es nie vergessen. Und genau das ist heute für mich der ganze Glaube. Was seine Hände mir damals gezeigt haben, das fühle ich heute immer noch. Mein alter Lehrer war ein besonderer Mensch. Bei ihm waren wir still, und zwar nicht, weil er so streng gewesen wäre. Wenn er vor uns stand, hatten wir das Gefühl, dass er jeden von uns anschaute und ansprach. Er stand vor uns, sah uns an und jedes von uns Kindern hatte das Gefühl: Es geht um mich. Vielleicht konnte er uns deshalb so gut den Glauben erklären. Ich sehe ihn immer noch vor mir. Und das nach über achtzig Jahren. Merkwürdig, wie einige Lehrer einen prägen. – Und andere nicht, setzte Moritz hinzu.“

Liebe Pädagogen und Pädagoginnen der Carl Sonnenschein-Schule. Ich weiß nicht, wie viele Schüler in den letzten 25 Jahren hier durch die Tagesstätte dieser Schule gegangen sind. Ich weiß auch nicht, welche Erinnerung diese Schüler noch heute an die ehemaligen Lehrer haben. Ich denke es geht ihnen nicht anders als dieser alten Frau und auch nicht anders als uns selbst, wenn wir an unsere eigene Schulzeit denken: Merkwürdig, wie einige Lehrer einen prägen. Und andere nicht.

25 Jahre – da geht der Blick zurück. Ich wünsche allen die sich hier abgemüht haben und zur Zeit abmühen diese Erfahrung, dass manchmal zurückgemeldet wird: Merkwürdig, wie einige Lehrer einen prägen.
25 Jahre – da geht aber auch der Blick nach vorn. Ich bin überzeugt: Als Erzieherpersönlichkeit kann ich nur prägen, wenn ich selbst daran glauben kann, was ich bei einem Bildhauer auf einer Glasstele eingraviert sah: „Dein Leben hinterlässt Spuren.“


Pfarrer Stefan Mai

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