Weltfremd?

Predigt zum 14. Sonntag im Jahreskreis (Lk 10, 1-12)

Was wir heute als frohe Botschaft gehört haben, mutet mir im ersten Moment sehr fremd an. Sehr weit weg vom heutigen Leben. Da schaltet sich sofort mein theologisches Hirn ein: Das waren Anweisungen für Wanderprediger zur Zeit Jesu. Für diese spezielle Situation sind die Aussagen leicht verständlich zu machen. Aber welche Bedeutung sollen solch zeitbedingte Worte für uns heute haben?

„Die Ernte ist groß“ behauptet Jesus. Welch ein Optimismus strahlt aus diesen Worten. Da herrscht Aufbruchstimmung. Da ist noch was zu holen. Da sind Menschen noch ansprechbar und begeisterungsfähig. Da geht was nach vorne.
Aber heute, was gibt es da noch groß zu ernten für Frauen und Männer, die sich in unseren Gemeinden und in der Seelsorgsarbeit abmühen? Es gibt keine grünen Felder mehr, keine blühenden Landschaften. Du kannst dir den Kopf zerbrechen und Kopfstände machen – und trotzdem findest du wenig auf deinem Erntewagen. Du musst dich an kleine Häufchen gewöhnen. Große Erfolge kannst du dir abschminken.

„Geht, ich sende euch wie Schafe mitten unter die Wölfe!“ – mit diesem Wort schickt Jesus die 72 weg. Gefährlich und abenteuerlich klingt das. Wölfe habe ich noch keine erlebt. Gebissen hat mich noch keiner. Aber wir beißen uns oft die Zähne aus an so viel Gleichgültigkeit, an so vielen Modeströmungen und Trends, die den Zugang zur Botschaft der Kirche erschweren.

„Nehmt keinen Geldbeutel mit, keine Vorratstasche und keine Schuhe!“ rät Jesus. Ach, bei dem milden Klima in Galiläa und der sprichwörtlichen orientalischen Gastfreundlichkeit lässt sich´s leicht so reden. Aber was haben wir als Kirche heutzutage alles mitzuschleppen! Was haben wir alles an Arbeitsstellen und Gebäuden zu erhalten! Von wegen: kein Geld mitnehmen. Bei uns ist doch inzwischen – etwas spaßhaft ausgedrückt - in den Diözesen mehr vom Sparen die Rede als vom lieben Gott. Ohne Geld läuft nichts.

„Grüßt niemand unterwegs!“ Deine Zielgerichtetheit in Ehren, lieber Jesus. Auch wenn heutzutage alles viel anonymer geworden ist als zu deiner Zeit, aber das würden dir Menschen, denen du deine Botschaft überbringen lassen willst, schwer übel nehmen. Heutzutage geht Beziehung vor Inhalt. Ohne Beziehungspflege erreichst du gar nichts mehr. Da kannst du noch so gute Ideen und Programme im Kopf haben.

„Wenn ihr in ein Haus kommt, so sagt als erstes: Friede diesem Haus!“ Wer kommt heut noch viel in Häuser: Flächendeckende Seelsorge ist in Zukunft angesagt. Wie solls auch anders gehen bei Seelsorgseinheiten von 6.000 bis 10.000 Menschen, und das womöglich auf sieben, acht Dörfer verteilt. Da bist du froh, wenn du mit der Organisation und dem Routinegeschäft zurechtkommst.

„Sagt den Leuten, das Reich Gottes ist nahe!“ Mit dieser Botschaft bist du doch selbst schon abgeblitzt. Was heißt das eigentlich: „Das Reich Gottes ist nahe“? Wie können Menschen das glauben oder sogar spüren?

„Wenn ihr aber in eine Stadt kommt, in der man euch nicht aufnimmt, dann stellt euch auf die Straße und ruft: Selbst den Staub, der an unseren Füßen klebt, lassen wir euch zurück!“ Nanana, Jesus, das klingt aber ganz schön beleidigt und rapiad. Da wird ja das Schaf selbst schon fast zum Wolf.

Liebe Leser, ich könnte auf jeden Ratschlag Jesu Einwände und kritische Anfragen formulieren und sagen: So kann man es heute doch nicht mehr machen. Und doch spüre ich im Tiefsten meines Herzens: So falsch liegt dieser Jesus mit seinen Ratschlägen auch für heute nicht.
Er hat recht, dass ich mich auf Dauer nur dann abmühen kann, wenn ich auch auf eine Ernte hoffe und nicht das Gefühl habe, nur für ein Bankrottunternehmen meine Kräfte zu verschleißen.
Er hat recht, dass Christen Mut bräuchten, sich nicht an den Lebensstil von Wölfen anzupassen und nicht einfach mit den Wölfen zu heulen. Denken und sagen und tun wir Christen etwas anderes als die anderen auch?
Er hat recht, wenn er die Kirche warnt, mit zu schwerem Gepäck durch die Zeit zu gehen, und fordert auf, darüber nachzudenken, welchen Ballast und vermeintliche Sicherheiten wir endlich hinter uns lassen müssten.
Er hat recht, dass wir Menschen bräuchten, die für ihre Sache brennen und sich von ihren Zielen nicht so leicht abbringen lassen, egal was andere darüber denken.
Er hat recht, dass wir Menschen von heute eine Antwort auf die Frage schuldig sind: Wo und wie kann ich Gott in meinem Leben erfahren und ihm Zugang zu meinem Alltag gewähren.
Er hat recht, wenn er davor warnt, andauernd die Wunden der Enttäuschung zu lecken, anstatt sie entschieden von sich zu schütteln, um wieder neu anzufangen.
Aus den Anweisungen Jesu für seine 72 Jünger lerne ich wieder einmal: Was ich vorschnell als unzumutbar oder als unrealistisch abtun möchte, das wäre vielleicht ein Weg, vielleicht der Weg in die richtige Richtung.


Pfarrer Stefan Mai

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