Er heftete sein Angesicht auf Jerusalem

Predigt zum 13.Sonntag im Jahreskreis (Lk 9,51-62)

„Als die Zeit herankam, in der Jesus in den Himmel aufgenommen werden sollte, entschloss er sich, nach Jerusalem zu gehen“, so beginnt das heutige Evangelium. Unser alter Theologieprofessor Rudolf Schnackenburg wurde an dieser Stelle des Lukasevangeliums nie müde, seine Studenten auf den griechischen Urtext hinzuweisen, der wörtlich übersetzt heißt: „Jesus heftete sein Angesicht auf Jerusalem“. Es ist ein Bild äußerster Entschlossenheit: Das Denken und Tun Jesu hat ein klares Ziel. Er will die Stadt Jerusalem mit seiner Botschaft konfrontieren und mit allen Konsequenzen den als richtig erkannten Weg gehen, egal, was auf ihn zukommt.
Aber trotz aller Entschiedenheit erliegt er einer Gefahr nicht, die oft als Zwillingsschwester der Entschlossenheit einhermarschiert, der Gefahr des Fanatismus und der übertriebenen Härte. Die Jünger wollen gleich Pech und Schwefel über das samaritische Dorf regnen lassen und seine Bewohner ausradieren, als dieses keine Übernachtungsmöglichkeit gewähren will. Doch Jesus weist seine Hitzköpfe in Schranken. Entschlossenheit hat seiner Meinung nach nichts damit zu tun, alle zu verteufeln oder gar die aus dem Weg zu räumen, die anders denken als ich, und über Leichen zu gehen. Entschlossenheit heißt: an meinem Kurs festhalten und mich nicht gleich davon abbringen lassen, wenn sich mir Widerstände in den Weg stellen.

Jesus geht weiter und gibt auf dem Weg eine Lehrstunde, was für ihn echte Entschlossenheit bedeutet. Da kommt ein junger Mann auf ihn zu und möchte ihm auf dem Weg folgen. Doch er lässt ihn mit dem warnenden Rätselwort stehen: „Die Füchse haben ihre Höhlen und die Vögel ihre Nester; der Menschensohn aber hat keinen Ort, wo er sein Haupt hinlegen kann.“
Jesus schenkt reinen Wein ein. Er macht keine falschen Versprechungen. Er verharmlost nicht: „Ach, ist alles nicht so schlimm. Das wird alles nicht so heiß gegessen, wie es gekocht wird.“ Nein, er macht klar: „Mein Weg ist kein Spaziergang, auch keine Tür zu einer glänzenden Karriere. Mein Weg kostet Kraft und fordert Entbehrungen.“ Wie leicht sind wir in der Kirche geneigt, wenn wir Menschen für eine Sache gewinnen wollen: Ach bloß ein paar Sitzungen, halb so schlimm, du musst halt ein wenig mitmachen.

Für sein Ziel, für das Eintreten für seine Ideale möchte Jesus Nachfolger gewinnen. Doch da hört er jedes Mal die Worte: „Lass mich erst noch heimgehen und meinen Vater begraben..., lass mich erst noch von meiner Familie Abschied nehmen.“ Unwahrscheinlich hart ist die Reaktion Jesu. Seine Einladung gilt hier und jetzt. Wenn du meinen Weg wirklich als richtig und wichtig für dein Leben erkannt hast, dann verträgt dies kein „erst noch“. Dann heißt es: Was du tun willst, das tue gleich, gern und ganz. Das ist seine entschiedene Reaktion. Eine harte, unzumutbare, einfach unmenschliche Reaktion? Oder spüren wir vielleicht doch im tiefstem: „Erst noch“ – Das sind zwei gefährliche Worte. Sie haben manches Glück verhindert. Wie oft haben Menschen erkannt: Eigentlich müsste ich jetzt dies oder jenes tun, aber ich tue mir schwer damit. Dann fange ich an, nach Ausreden zu suchen, die häufig mit den zwei Worten „erst noch“ beginnen: Ich muss mich erst noch vergewissern, ob das auch stimmt. Ich muss erst noch dies sicherstellen und dies und jenes erledigen. Ich will erst noch eine Nacht darüber schlafen. Manchmal mag das zur Klärung beitragen und hilfreich sein. Aber oft genug ist der Zug dann schon abgefahren, wenn ich nach dem „erst noch“ am Bahnhof ankomme.

Liebe Leser, das heutige Evangelium ist für mich ein Lehrstück über echte Entschlossenheit.
1. Entschlossenheit verträgt sich nicht mit Fanatismus
2. Entschlossenheit heißt Ehrlichkeit
3. Entschlossenheit heißt: Was du tun willst oder sollst, das tue gleich, gern und ganz.


Pfarrer Stefan Mai

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