Noch einmal nach Betanien

Predigt zum Himmelfahrtstag 2004 (Lk 24,46-53)

In der Fliegersprache gibt es den sogenannten „Point of no return“. Damit ist der Punkt beim Start eines Flugzeuges gemeint, an dem es eine Geschwindigkeit erreicht, die es nicht mehr zulässt, das Flugzeug zum Stoppen auf der Landebahn zu bringen, ohne eine Katastrophe heraufzubeschwören. Wenn dieser „Point of no return“ erreicht ist, gibt es kein Zurück mehr, sondern nur noch volles Durchstarten und den eingeschlagenen Kurs durchhalten.
Ein entscheidender Punkt auf dem Weg Jesu nach Jerusalem war das Dorf Betanien vor den Toren Jerusalems. Er wäre noch einmal die Stelle gewesen, an der Jesu hätte umdrehen können. Aber er ging konsequent den Weg weiter, den Ölberg hinab nach Jerusalem, wo er den Tod fand. Das Dorf Betanien wurde somit zu einer entscheidenden Schlüsselstelle im Wirken Jesu, von dem aus es dann kein Zurück mehr gab.
Heute hören wir, dass Jesus am Ende des Lukasevangeliums vor seiner Aufnahme in den Himmel noch einmal seine Jünger an diese entscheidende Schlüsselstelle seines Weges hinführt. Symbolisch steht noch einmal der Ort vor Augen, an dem noch alles gut war – und trotzdem schon deutlich das Risiko deutlich wurde, das Jesus eingeht, wenn er Jerusalem mit seiner Botschaft konfrontieren will. Jesus entscheidet sich, weiterzugehen: „Point of no return”. Und dann kam der Knackpunkt. Die Jünger suchten alle das Weite.
Für mich ist es kein Zufall, dass Jesus nach seiner Auferstehung die Jünger genau an diesen Ort noch einmal zusammenführt. Seine Jünger, die sich angesichts des Kreuzes haben irre machen lassen und die Kunde von der Auferstehung für ein verrücktes Märchen hielten. Jetzt beauftragt er sie, als Zeugen der Botschaft seines Leidens und der Auferstehung von Jerusalem aus in alle Welt hinauszugehen. Er segnet sie zu diesem Auftrag und spricht ihnen zu, dass die Kraft Gottes mit ihnen sei. Ein Neuanfang wird ihnen zugetraut.
So wird Betanien auch zum „Point of no return“ für die Jünger, wie damals für Jesus vor dem Einzug in Jerusalem. Sie starten neu durch, voller Entschlossenheit. Und „voller Freude“ heißt es, kehren sie nach Jerusalem zurück und bald wird wie ein Lauffeuer die Botschaft Jesu um die ganze Welt gehen.

Liebe Leser, ich glaube daran: Wenn Menschen ganz entschlossen bestimmte Punkte in ihrem Leben, bestimmte Entscheidungen, Lebenshaltungen und Werte für sich als ihren „Point of no return“ definieren, dann gewinnen sie neue Schubkraft und neue Energie und werden zu Dingen fähig, die sie sich vorher nie zugetraut hätten.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de