Moritz und der liebe Gott

Predigt zum Dankgottesdienst der Kommunionkinder am 17.05.04

Predigt

Vor vierzehn Tagen fiel mir ein Kinderbuch in die Hände mit dem Titel „Moritz und der liebe Gott“. Es erzählt vom dreizehnjährigen Moritz. Eigentlich hatte er mit der Kirche gar nichts am Hut. Er ging nie hinein. Nur einmal, kann er sich erinnern, war er in einer Kirche, weil seine kleine Schwester Anna mit ihrer Kindergartengruppe etwas vorsingen musste. Ansonsten keinen blassen Dunst.
Per Zufall geriet er eines Tages in eine Kirche, weil es draußen furchtbar schüttete. Er wollte einfach nur weg von daheim. Die Eltern von Moritz haben viel gestritten, und haben sich nun endgültig getrennt. Der Vater holte die letzten Sachen aus der Wohnung und hinterlässt bei Moritz und Anna eine furchtbare Leere. Moritz hält es einfach nicht mehr aus, als sein Vater die letzten Sachen in den Karton packt, und flieht mit seinem Kickbord aus der Wohnung. Wie wild reagiert er sich darauf ab und fährt ziellos drauf los. Er kommt in ein Stadtviertel, das er nicht kennt. Es fängt plötzlich an zu regnen. Und da hört Moritz eine Turmuhr schlagen und sieht, dass die große Eingangstür im Turm offen steht und fährt in die Kirche, weil er Schutz vor dem kalten Regen suchte. Hier war es dunkel. An dieses Halbdunkel musste er sich erst gewöhnen und an die Luft, die eigentümlich roch – feucht, kühl und alt, aber nicht unangenehm. Langsam ruckelt er auf seinem Kickbord über die langen Steinplatten in den Kirchenraum hinein, wie in eine andere Welt. Still war es hier, sonderbar still. Die Geräusche der Straße waren draußen vor der Tür geblieben. Nur ein fernes Rauschen drang herein. Alles schien unendlich weit weg. Wie groß die Kirche war! Er setzte sich in eine Bank und musste den Kopf ganz nach hinten legen, um die hohe Decke zu sehen. Die Kirche war so groß, dass sich Moritz vor den gewaltigen Säulen und Mauern wie eine Ameise vorkam. Trotzdem fühlte er sich nicht eingeschüchtert und erdrückt. Moritz schaute sich die Glasfenster an. Viel konnte er nicht erkennen. Es war eine ferne, fremde Welt von Bildern. Aber das dunkle Blau und das tiefe Rot der Fenster zogen ihn irgendwie an. Fast erschienen ihm diese Farben wie ein Schutz. Da entdeckt er vorne im Winkel einen Kerzenständer. Er geht darauf zu. Einige heruntergebrannte Kerzen flackerten und zischten leise. Unter dem Ständer war ein Kasten mit Kerzchen. Darauf stand ein Schild: „Entzünden Sie eine Kerze für jede Bitte“. Dann nahm Moritz vier Kerzen aus dem Kasten, eine für Anna, eine für Papa, eine für Mama und eine für sich. Er zündete sie an. Schön sahen sie aus, wie sie da nebeneinander standen und gemeinsam brannten, friedlich und versöhnlich. Moritz starrte eine ganze Weile in die vier Flammen. Nur vier kleine Kerzen, trotzdem erhellten sie den weiten Raum und tauchten Moritz und alles, was um ihn herum war, in ein Warmes gutes Licht.
Draußen war es heller geworden. Und Moritz musste nach Hause. Er stellte sich auf sein Kickbord und fuhr los. Da hätte er beinahe eine alte Frau aus dem Seniorenheim in der Nähe der Kirche umgefahren, die unverhofft um eine Säule kam. Und diese zufällige Begegnung wird zu einem Beginn einer ungewöhnlichen und dichten Beziehung zwischen einem Buben und einer uralten Frau.
Alle paar Tage besucht Moritz Frau Schmidt im Altersheim. Und sie erzählt von ihrem nicht leichten Leben und vor allem davon wie sie das alles durch ihr unerschütterliches Gottvertrauen und bodenständige Frömmigkeit meisterte. Er erlebt an Frau Schmidt einen gläubigen Menschen, für den der Glaube ganz selbstverständlich zum Leben gehört. „Man muss nicht furchtbar viel wissen oder gelesen haben, um glauben zu können“, meint diese alte Frau, „man muss nur eines: vertauen können. Meinem alten Volksschullehrer ist es gelungen, uns Kindern den ganzen Glauben mit einer einzigen Handbewegung zu beschreiben. Er legte seine Hände aneinander, so als ob sie einen kostbaren Schatz halten und beschützen würden. Dann sagte er zu uns: An Gott glauben, das heißt zu spüren, dass wir in seiner Hand geborgen sind ... Weißt du Moritz, man braucht im Leben einen Glauben. Man muss sich an etwas festhalten. Man braucht ein inneres Zuhause. Wenn du nichts glaubst, dann bist du nichts, nur ein kleiner Mensch in einer harten Welt.“

Liebe Kinder, ich habe euch heute ganz bewusst von diesem Moritz erzählt. Auch wenn wir gestern den Tag der Erstkommunion groß gefeiert haben, weiß ich, dass viele von euch den Weg nicht mehr oft in die Kirche finden werden. Aber ich hoffe, dass ähnlich wie bei Moritz, der Raum unserer schönen Kirche auf euch einen bleibenden Eindruck hinterlassen hat. Und ich wünsche euch von Herzen, dass ihr in eurem späteren Leben immer wieder Menschen begegnen dürft, die - wie diese alte Frau Schmidt - eines ausstrahlen: Der Glaube gehört selbstverständlich zu meinem Leben. An Gott glauben, das heißt spüren, dass wir in seiner Hand geborgen sind.

Fürbitten

Die kleinen Kerzen in der Kirche haben Moritz fasziniert. Und er hat eine für Anna, eine für Papa, eine für Mama und eine für sich aufgestellt.
Auf den Altarstufen stehen heute 22 kleine Kerzen, für jeden von euch eine Kerze. Wenn jetzt leise Orgelmusik spielt, dann bitte ich euch, in aller Ruhe einmal nachzudenken, für wen ihr heute eine Kerze entzünden wollt und was ihr für diesen Menschen von Gott erbittet. Kommt dann nacheinander heraus, entzündet in aller Ruhe die Kerze, denkt an den Menschen, für den ihr betet und stellt das Kerzchen auf den Kerzenständer. Es brennt dann einfach für ihn weiter.


Pfarrer Stefan Mai

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