Beim Namen gerufen

Erstkommunion 2004 in St. Maximilian Kolbe (Lsg 1Sam 3,1-19; Ev Mk 10,46-52)

Liebe Eltern, ich weiß nicht, warum Sie Ihr Kind Benedikt, Marco, Dorothea, Simon, Lara, Mona oder Anja genannt haben. Ich weiß nicht, warum Ihnen die Namen Steven, Cody, Karolina, Melissa, Maria, Mateusz, Franziska und Michael so gut gefallen haben. Ich weiß nicht, warum Ihre Namenswahl auf Lisa, Kara, Regina, Laura, Selina, Rene und Stefanie gefallen ist.

Ich weiß nicht, ob diese Namen in ihrer Familiengeschichte eine Bedeutung haben. Ob es der Klang war, der Sie angesprochen hat, oder lebende Personen mit diesem Namen, die Sie schätzen oder verehren. Ob Sie bewusst auf einen Namen der christlichen Heiligen zurückgegriffen haben. Ob die Bedeutung des Namen Ihnen gefallen hat – oder ob Sie einfach einmal etwas anderes wollten.
Ich weiß nicht, wie oft am Tag Sie den Namen Ihres Kindes in den Mund nehmen. Ob Sie am Morgen, wenn Sie Ihr Kind aufwecken, es bewusst mit seinem Namen ansprechen. Ob Sie, wenn Sie Ihr Kind um etwas bitten, bewusst den Namen dazusagen, oder ob es einfach heißt: „Trag das mal runter!“

Ich weiß nicht, ob Sie schon einmal darauf geachtet haben, wie unterschiedlich man einen Namen aussprechen kann und wie viel man mit dem Tonfall sagt.

Anja (barsch aussprechen). Und dann ist gleich klar: Die Anja hat nicht gehört und bekommt einen Rüffel.
Dagegen: „Ach, Mona“ (sanft). Dieser Tonfall will beschwichtigen. Das heißt so viel wie: Ach, Mona, nimm dir doch nicht alles so zu Herzen.
„Simon!“ (überraschend). So klingt der Name, wenn die Mutter überrascht ist, dass er heute so bald schon von Benedikt heimkommt.
„Rene“ (mit warmem Ton) – sagt die Mutter zu ihrem Buben. Und er spürt sofort: Heute ist die Mama stolz auf mich, weil ich eine gute Note heimgebracht habe.

Liebe Eltern, der Name eines Kindes ist nicht nur Schall und Rauch. Der Name eines Kindes ist nicht nur ein Kennzeichen. Über den Namen wird Beziehung hergestellt.

Wenn ein Kind nie mit Namen gerufen wird, heißt das: Es zählt nichts. Wenn ein Kind immer nur seinen Namen in einem barschen Tonfall hört, bekommt es zu spüren: Ich kann mich anstrengen, wie ich will, aber recht machen kann ich nichts. Wenn ein Kind heulend nach Hause kommt und hört, wie die Mutter den Namen weich ausspricht, dann spürt es: Ich bin mit meiner Traurigkeit nicht allein.

Eine gesunde Mischung wäre gut. Ein Kind erfährt über seinen Namen: Ich bin ein großer Schatz meiner Eltern. Ich bin angenommen. Mir werden aber auch Grenzen gezeigt. Mit wird etwas zugetraut. Von mir wird etwas gefordert. Es wird mir aber auch deutlich gezeigt: Hier hast du etwas falsch gemacht. Und vor allem: Mir wird wieder neu Mut gemacht.

Ein Kind ist sehr sensibel dafür, ob die Eltern seinen Namen aussprechen, wie sie ihn aussprechen – und ob sie ihre Beziehung zu ihrem Kind auch vor anderen zeigen. Ein Kind hat einfach die Sehnsucht, beim Namen gerufen zu werden – wie Patrick, der es gewohnt ist, wenn er von der Schule nach Hause kommt, dann ist keiner da. Doch heute ist alles anders. Als er die Wohnungstüre öffnet, erblickt er zu seiner Überraschung seine Mutter. Sie kommt ihm entgegen. Aber zu ihrem Erstaunen dreht Patrick sofort um und rennt die Treppe wieder hinunter. Seine Mutter läuft ihm nach und ruft ganz durcheinander: „Patrick, freust du dich nicht, dass ich schon da bin? Wegen dir bin ich doch heute früher als sonst heimgekommen. Ich wollte da sein, wenn du kommst. Warum rennst du denn weg?“ Patrick bleibt stehen und schreit ganz aufgeregt: „Ich gehe doch nur in den Hof, um mit den anderen Kindern zu spielen. Warte ein paar Minuten! Dann öffne das Fenster und ruf ganz laut zum Fenster hinaus: ‚Patrick, Patrick!’ Ja, ruf mich, wie die anderen Mütter ihre Kinder beim Namen rufen. Ruf: ‚Patrick, ich bin schon da. Komm heim!’“

Liebe Kinder,
Ihr habt den Patrick vor Augen. Gab es das bei Euch auch schon einmal, dass euer Name von Papa oder Mama oder vom Lehrer gerufen wurde – und Ihr wart ganz stolz?

Musik einspielen (Du hast ganz leis’ mich beim Namen genannt)


Liebe Eltern,
wo das passiert, dass ein Mensch Wertschätzung, Anerkennung, Ernstgenommenwerden mit seinem Namen in Verbindung bringt, ist der Boden dafür gelegt, dass er auch daran glauben kann: Gott interessiert sich für mich. Er will mein Bestes. Ich bin nicht nur eine Nummer. Er ruft mich bei meinem Namen.


Pfarrer Stefan Mai

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