Einfach herrlich

Predigt zum 5.Sonntag in der Osterzeit (Joh 13,31-35)

Einleitung

Wenn wir Mädchen ärgern wollten, fragten wir manchmal: Was ist das Eigenschaftswort von Herr? „Herrlich“, lautete die Antwort. Und was das Eigenschaftswort von Dame? Und schon beim Aussprechen der Antwort „Dämlich“, merkten die Mädchen, dass Buben kein Quiz veranstalten, sondern sie lediglich ärgern wollten. Denn komischerweise ist bei uns der Begriff „herrlich“ positiv besetzt, während dem Adjektiv „dämlich“ der Beigeschmack dümmlich anhaftet.
Das zentrale Wort des heutigen Evangeliums lautet „Herrlichkeit“. Jedoch in einem ganz anderen Sinn als im Lausbubenscherz.

Predigt

„Na, wie war´s?“ – „Einfach herrlich!“ So antworten Menschen, wenn sie etwas erlebt haben, das sie tief beeindruckt oder fasziniert hat: einen schönen Abend, einen eindrucksvollen Urlaub, einen besonderen Sonnenuntergang, ein Konzert, ein Film, der sie bewegt hat, ein völlig überraschender Fußballsieg, ein unerwarteter Erfolg. Einfach herrlich!

Eine Wucht. Nicht zu beschreiben, nicht in Worte zu fassen, nicht zu begründen. Großartig. Das ist unsere Reaktion auf Erfahrungen und Begegnungen, die sich uns tief einprägen, förmlich umhauen, weil sie so überraschend, so überwältigend sind, ja einem fast verrückt vorkommen. Einfach herrlich, das Schöne, die freudige Überraschung, das Glück, die Liebe. Da können Menschen aufschnaufen, da wird ihnen ein Stück das Herz weit und die Zuversicht, das Leben meint es doch gut mit mir, gewinnt Oberwasser.

Gleich fünf Mal ist im heutigen Evangelium von Herrlichkeit die Rede. Dauernd redet Jesus von Herrlichkeit, von seiner Verherrlichung in Gott und von Gottes Verherrlichung in ihm. Aber in welchem Zusammenhang! Der Verrat des Judas steht bevor, die Todesnähe ist bedrückend spürbar. Und dennoch führt Jesus ständig dieses Wort Herrlichkeit im Mund. In welch anderem Rahmen ist da von Verherrlichung die Rede. Der Menschensohn wird dadurch verherrlicht, dass er in den Tod geht. Ist das nicht in erschreckender Weise unpassend?

Eines ist jedoch klar. Das Johannesevangelium zelebriert keine Todesverherrlichung. Herrlich, faszinierend, umwerfend ist für Jesus nicht der Tod, sondern das Leben. Für ihn ist es herrlich, das Leben anzuschauen. Und immer taucht etwas von der Herrlichkeit Gottes auf, wenn Menschen aufatmen, ihnen das Herz aufgeht, sie neu Mut fassen, von einem Wort getroffen und fast umgehauen werden. Da scheint die Herrlichkeit Gottes auf bei der Hochzeit, die zu scheitern droht und dennoch zu einem rauschenden Fest wird. Die Herrlichkeit Gottes scheint auf in einem Wort, das den Nikodemus in der Nacht trifft und eine neue Perspektive in sein Leben bringt. Mit der Frau am Jakobsbrunnen spricht Jesus so lange, bis sie die Quelle von Lebendigkeit in ihrem Leben neu entdeckt. Für die Ehebrecherin, auf die tödliche Steine niederprasseln, findet er einen Ausweg ins Leben und schenkt einen Neuanfang. Und selbst der Grabstein des Lazarus hindert ihn nicht, an das Leben, an die Herrlichkeit Gottes zu glauben. Gerade in hoffnungslosen Situationen, die Menschen zu bewältigen haben und wo ihnen doch noch zum Leben verholfen wird, da sieht Jesus die Herrlichkeit Gottes aufblitzen. Und diese Hoffnung trägt ihn auch noch im Abendmahlssaal, als bereits die Schatten des Todes auf ihn fallen.

Auf diesem Hintergrund legt Jesus seinen Jüngern seinen wichtigsten Wunsch, sein neues Gebot, ans Herz: „Liebt einander! Wie ich euch geliebt habe, so sollt auch ihr einander lieben.“ Das heißt doch: Wie ich dem Leben andauernd auf der Spur war, Menschen zu mehr Leben verhelfen, Vertrauen ins Leben stärken wollte, so bitte ich auch euch, alles was in eurer Macht und in euren Möglichkeiten steht zu tun, damit mehr Leben gefördert und ermöglicht wird.

Oft ist das schön und recht einfach. In Kindern steckt unendlich viel Neugier am Leben, Wachstumswille, tiefes Vertrauen. Diese Lebenskeime zu nähren und zu fördern heißt: lieben und Gott dadurch verherrlichen. Wenn Mann und Frau voneinander fasziniert sind, einander lieben und einander Stütze sind, im anderen liebenswerte Seiten entdecken, die der andere vielleicht noch gar nicht wahrnahm, heißt das: Gott verherrlichen. Aber auch bei Menschen, die in einer tiefen Krise stecken oder denen die körperlichen und geistigen Kräfte schwinden, an ihnen und mit ihnen zu entdecken, auch hier steckt noch Leben, woran sie sich, woran wir uns freuen können, das heißt lieben und die Herrlichkeit Gottes aufleuchten spüren.

Liebe Leser, das Johannesevangelium ist davon überzeugt: Wenn Menschen in dieser Einstellung das Leben in die Hände nehmen, Leben entdecken und fördern zu wollen, wenn Menschen erleben dürfen, ich komme dem Leben trotz Widrigkeiten, Schuld, Ohnmacht wieder mehr auf die Spur, ich kann wieder aufatmen – da leuchtet die Herrlichkeit Gottes auf. Und es behauptet: Jesus und Gott werden nicht dadurch verherrlicht, dass sie angehimmelt werden, sondern dadurch, dass hier auf dieser buckligen Erde Menschen das Leben leichter gemacht wird. Erst dann können nämlich Menschen sagen: Das Leben ist einfach herrlich. Und das ist die größte Verherrlichung Gottes.


Pfarrer Stefan Mai

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