Zeige deine Wunden

Predigt zum 2.Sonntag der Osterzeit (Joh 20,19-31)

Einleitung

Als der Auferstandene in die Mitte seiner Jünger trat, „zeigte er ihnen seine Hände und seine Seite“, die Stellen, an denen er tödliche Wunden trug. Karfreitag und Ostern, Kreuz und Auferstehung hängen zusammen wie zwei Seiten einer Medaille.
All unsere Osterkerzen tragen deshalb trotz des Lichts der Auferstehung noch die fünf Wunden Jesu. Oft sind sie nicht mehr rot sondern golden als Zeichen ihrer Überwindung, als Zeichen ihrer Verwandlung. Trotz Wunden wieder neu leben lernen und können, das sind Auferstehungserlebnisse von Menschen bis herauf in unsere Zeit.

Predigt

Schon die alten Mythen der Völker träumen den Traum vom unversehrten Leben, den Traum von der Unverwundbarkeit. Die Germanen erzählen im Nibelungenlied, wie Siegfried den Drachen besiegt, sich in seinem Blut badet und sich dadurch eine Schutzschicht um seinen Körper legt, die ihn unverwundbar macht. Aber ein Blatt, das vom Baum zwischen seine beiden Schulterblätter fällt, verhindert, dass er total unverwundbar ist. Die kleine Stelle zwischen den Schultern bleibt verwundbar. Siegfried erzählt davon seiner Frau Kriemhild und sein Rivale Hagen erfährt davon. Angeblich um Siegfried an seiner verwundbaren Stelle zu schützen, bittet er sie, diese Stelle mit einem Kreuz besonders zu kennzeichnen. Aber Hagen bedient sich nur dieser List, um an dieser Stelle dann den Speer Siegfried ins Herz zu stoßen.
Auch die Griechen erzählen etwas Ähnliches: von Achilles. Seine Mutter möchte ihr Kind für das spätere Leben unverwundbar machen, mit einer Schutzschicht umgeben. Sie hält deshalb Achilles in den Unterweltfluss mit dem Namen Styx. Überall, wo das besondere Wasser des Unterweltflusses Achilles berührt, wird er unverwundbar. Nur an eine Stelle kommt es nicht hin. Denn die Mutter hält ihren Knaben im Knöchelbereich fest, als sie ihn in den Fluss taucht. Und so bleibt die Ferse verwundbar. Und ausgerechnet an dieser Stelle trifft später der Speer den tapferen Krieger.

Ja schon die Alten träumen diesen Traum vom unverwundbaren Leben. Aber sie gestehen es zugleich ein, dass kein Mensch ohne Verwundbarkeit im Leben davon kommt. Heute werden keine Mythen mehr über die Unverwundbarkeit des Menschen erzählt, aber der Traum hält sich hartnäckiger denn je. Alles soll glatt gehen, alles soll funktionieren, alles soll gesund sein, erfolgreich und fit, leistungs- und ergebnisorientiert. Nur keine Schwäche zugeben, nur keine Wunden zeigen. Denn wer dies tut, muss damit rechnen, unter die Räder zu kommen, zurückgesetzt oder verlacht zu werden. Deshalb ja keine schwache Stelle zeigen, sich ja keine Blöße geben und die Wunden, an denen man leidet, verbergen.

Gegen diesen Unverwundbarkeitswahn unserer Gesellschaft hat vor Jahren der Künstler Joseph Beuys mit einer Performance demonstriert. In München hat der Künstler ein Klinikbett in eine stark begangene Passage gestellt, darauf zwei größere Arzneiflaschen, deutlich hervorgehoben mit einem kräftigen roten Kreuz. Mit dieser Installation wollte er im Gehetze und Getriebe den Blick auf Situationen lenken, vor denen der Mensch gerne die Auge verschließt. Er wollte einmal den Blick auf Menschen richten, die aufgrund ihrer Verwundungen und Handicaps in einer Jugendwahn- und knallharten Leistungsgesellschaft nicht mehr mithalten können und deshalb aus dem Interessenshorizont hinausgeschoben werden. Damit die Passanten verstehen konnten, welche Botschaft der Künstler damit vermitteln wollte, schrieb er deutlich darunter die Aufforderung: „Zeige deine Wunden“.

Mit seinem Titel „Zeige deine Wunden“ greift Joseph Beuys auf das Motiv des heutigen Evangeliums zurück und transformiert es in unsere Zeit. Da zeigt einer seine Wunden und wird nicht verlacht oder niedergemacht. Da steht einer zu seinen Wunden und ermöglicht anderen dadurch einen neuen Anfang. Ausgerechnet ein verwundeter Mensch strahlt eine große Ruhe auf aufgeregte und verängstigte Menschen aus. Ausgerechnet einer, dem Wunden von anderen zugefügt wurden, schlägt nicht wild um sich, sondern spricht von Vergebung und lädt zum Frieden ein. Ausgerechnet der Blick auf die Wunden schafft wieder Verbindung unter den Elf. Und ausgerechnet die Erlaubnis, die Wunden Jesu hautnah spüren zu dürfen, überzeugt einen Zweifler.

Das heutige Evangelium und der Künstler Joseph Beys plädieren dafür, dass Wunden nicht versteckt werden müssen, sondern gezeigt werden können, ohne dafür Nachteile erleiden zu müssen oder an den Pranger gestellt zu werden. Ich bin überzeugt: Unsere Gesellschaft würde anders ausschauen, wenn sie sich einmal verabschieden würde vom illusorischen Unverletzbarkeits-Wahn. Sie würde sich wandeln in eine Welt, die nicht mehr halbiert ist in Gesunde und Kranke, in Siegertypen und Verlierer, In Fitte und Kaputte, in aufs Abstellgleis Geschobene und Gefragte. Eine Gesellschaft, in der akzeptiert würde, dass ein jeder seine Schwachstellen, eben seine „Achillesferse“, hat und Wunden mit sich trägt und keiner den großen Macker spielen braucht würde neu auferstehen zu mehr Menschlichkeit und Solidarität.

Fürbitten

Auch nach deiner Auferstehung stehst du als Verwundeter vor deinen Jüngern. Wir bitten dich:

V/A: Christus höre uns

Wir empfehlen dir die Völker und Regionen der Erde, die an der Wunde des Hasses, der Gewalt und des Terrors nicht zu genesen scheinen.

Wir empfehlen dir alle Menschen, denen schwere Verwundungen zugefügt wurden, die sie ein Leben lang psychisch oder physisch belasten.

Wir empfehlen dir alle Ärzte, Krankenschwestern, Pfleger und Psychotherapeuten, die täglich mit körperlichen oder seelischen Wunden konfrontiert werden

Wir empfehlen dir jene Menschen, die nur noch schwer an Gottes Barmherzigkeit glauben können.

Wir empfehlen dir die Kinder, Frauen und Männer, die trotz erlittenen Unrechts versöhnlich und barmherzig sind

All diese Menschen empfehlen wir dir an, dir, unseren auferstandenen Herrn. Amen


Pfarrer Stefan Mai

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