Wozu erlöst?

Predigt zum Karfreitag 2004

Seit ein paar Wochen ist er im Kino, der mit Spannung erwartete Jesusfilm aus Amerika: „Die Passion Christi“ von Mel Gibson. Zwar hat er bei uns lange nicht das Echo erreicht wie in Amerika, aber trotzdem erregt er die Gemüter. Der Regisseur, der für Actionfilme mit großem Gewaltpotential bekannt ist, zeigt auch in diesem religiösen Film im blutigen Detail, wie Jesus in den letzten zwölf Stunden seines Lebens gefoltert und gekreuzigt wird.
Auf der einen Seite wird der Film bejubelt und behauptet: keine Predigt könne so für Jesus werben wie dieser Film. Auf der anderen Seite wird er dem Splatterkino, d. h. Blutverspritz-Kino zugerechnet, als Sondergattung der Horrorszene. Unter Aufbietung aller maskenbildnerischen Kunst dreht Mel Gibson die Gewaltschraube auf vollen Anschlag und setzt eine neue Grenzmarke des Körperkinos.
Aber all dieses Blut und diese kaum erträglichen Bilder des Massakrierens setzt Gibson ein, um die erlösende Kraft des Todes Jesu zu veranschaulichen. Vor allen Bildern erscheint auf der Leinwand als Motto ein Vers aus dem Gottesknechtslied: „Wegen unserer Sünden wurde er zermalmt, zu unserem Heil lag Strafe auf ihm, durch seine Wunden sind wir geheilt“ (Jes 53,5).
Hat Gibson auf die Leinwand gebracht, was wir am Karfreitag feiern? Erlöst nur das Blut? Können Menschen nur umkehren, wenn sie – wie am Ende des Filmes der Hauptmann am Kreuz – in den Strahl des Blutes Jesu getaucht werden?
In meinen Augen hat der Film einen gewaltigen Hinkefuß. Er reduziert das Leben Jesu auf die letzten zwölf Stunden, als wären nur sie entscheidend gewesen. Als käme es nur auf die Qualen und auf das Blut an. Aber das Herzblut, das Jesus vorher investiert hat, spielt keine Rolle. Der Film blendet aus, dass unter der Römerherrschaft Tausende genauso qualvoll gekreuzigt wurden wie Jesus und dabei genauso viel Blut geflossen ist. Aber er beantwortet nicht die Frage, warum ausgerechnet der Tod Jesu eine derartige Bedeutung haben soll.
Die entscheidende Frage, auf die uns der Film von Mel Gibson stößt, ist: Lebte Jesus nur, um zu sterben – oder starb er, weil er lebte, wie er lebte? Wenn er nur lebte, um zu sterben, bedeutet das: Sein Tod war ein Opfer, das Gott umstimmen sollte, den Menschen gnädig zu sein. Das glaubt Mel Gibson. Und deswegen kann für ihn das Leiden gar nicht blutig genug sein.
Doch die christlichen Evangelien behaupten genau das Gegenteil: Sie erzählen davon, dass Jesus sterben musste, weil er lebte, wie er lebte. Von der Kreuzigung erzählen sie völlig unspektakulär. Aber ausführlich erzählen sie, warum es dazu kommt.
Da wird einer niedergemacht, der ein bisschen Hoffnung macht. Da wird einer der Würde beraubt, der den Verachteten ein Stück Selbstachtung gegeben hat. Da wird einer klein gemacht, der die Kleinen groß rauskommen ließ. Da wird einer nach den Buchstaben des Gesetzes fertig gemacht, der sakrosankte Vorschriften als himmelschreiende Unmenschlichkeit entlarvt. Da wird einer auf’s Kreuz gelegt, weil er mit den Mächtigen am Tempel über Kreuz kommt.
So einer passt nicht in die Landschaft. So einer muss weg.
Niemand stellt sich auf seine Seite. Christlicher Glaube sagt: Einer hat sich auf seine Seite gestellt: Gott selber.
Und deshalb heißt Erlösung nicht: sich vom Blut Jesu betröpfeln zu lassen.
Sondern: Sich zu einem Leben befreien lassen, das den Mut hat, in den Spuren Jesu zu gehen und sich nach seinem Lebensstil auszurichten.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de