Zum Dienst befreit

Predigt zum Gründonnerstag 2004 (Joh 13,115)

Es ist paradox. Jeder von uns lebt von Dienstleistungen anderer. Das fängt bei der Müllabfuhr an und hört am Krankenbett auf. Und doch: Mülltonnenmann als Beruf angeben zu müssen, das hat ein schlechtes Image. Was ist heute schon eine Friseurin? Welchen Stellenwert hat eine Altenpflegerin, die Tag für Tag unzählige Male die Hintern abwischt und dem Tod ins Auge schaut?
Aber die Politik behauptet: Der Dienstleistungssektor, das ist die Ressource für die neuen Jobs in der Zukunft. Und doch wird nichts schlechter bezahlt als die Dienstleistung. Und der Gipfel der Ironie: Wie oft wird argumentiert: Das sind zwar Drecksarbeiten. Aber die sollen doch froh sein, dass sie damit ihr Geld verdienen.
Mich wundert es nicht, dass der Gründonnerstag im Bewusstsein der Bevölkerung immer mehr an Wert verliert, dass kaum mehr davon Notiz genommen wird. Und ich meine: Dass wir bei diesem Gottesdienst, der die heiligen drei Tage eröffnet, sozusagen in kleiner vertrauter Runde feiern, hängt sicher nicht mit dem späten Ladenschluss zusammen. Sondern es hängt damit zusammen, dass mit der Kernbotschaft dieses Tages kein Staat mehr zu machen ist. Der Gründonnerstag nämlich feiert die Dienstleistung.
Und um die Sache noch auf die Spitze zu treiben: Am Tag der Einsetzung der Eucharistie wird gerade das Evangelium gewählt, in dem beim Abschiedsmahl Jesu von Eucharistie überhaupt nicht die Rede ist, sondern nur vom Dienen. Jesus macht für seine Jünger genau das, was Aufgabe der Müllmänner seiner Zeit war: den anderen die dreckigen Füße waschen.
Und damit stellt Jesus eine Werteordnung auf den Kopf: Jesus legt Wert darauf, dass er diese Drecksarbeit als Herr und Meister macht – und das hat Konsequenzen für alle, die sich seine Jünger nennen wollen. „Wenn nun ich, euer Herr und Meister, euch die Füße gewaschen habe, dann müsst auch ihr einander die Füße waschen. Ich habe euch ein Beispiel gegeben, damit auch ihr so handelt, wie ich an euch gehandelt habe“ (Joh 13,14f.).
Liebe Leser, ich bin überzeugt: Die großen Sprüche in der Politik über den Dienstleistungssektor werden erst dann greifen, wenn wir alle zu einer anderen Einstellung zum Dienst für andere finden. Wenn ich mir selbst beim Dienst am anderen nicht als Putzlumpen vorkomme, sondern davon überzeugt bin: Das ist der größte Dienst, dem ich dem Leben tun kann. Und erst dieser Dienst bringt Qualität ins Leben.
Und ich glaube, die entscheidende Veränderung in der Bewertung der Dienstes wird es erst dann geben, wenn die Parolengeber ihren Beruf als Dienst für andere begreifen und sich nicht nur als „Staatsdiener“ oder „Religionsdiener“ titulieren und schwer bezahlen lassen.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de