Hohn und Spott

Bußgottesdienst zur Fastenzeit 2004

Lied: 179/1+2

Einführung

O Haupt voll Blut und Wunden, voll Schmerz und voller Hohn, o Haupt, zum Spott gebunden mit einer Dornenkron, o Haupt, sonst schön gekrönet mit höchster Ehr und Zier, jetzt aber frech verhöhnet: gegrüßet seist du mir.

Dieses alte Passionslied führt uns deutlich vor Augen: Nicht nur Schläge, Grausamkeit und physische Schmerzen tun weh. Genauso grausam ist es, wenn ein Mensch zum Gespött der Leute gemacht wird. Nicht erst die brutalen und blutigen Schläge zerstören sondern schon die kleinen und großen Spitzen von Hohn, Spott und Zynismus machen Menschen fix und fertig, oft auf raffinierterster und verdeckter Art. In diesem Bußgottesdienst wollen wir einmal - angeregt durch die Verspottungsszene aus der Passionsgeschichte – nachdenken, wie wir selbst mit Hohn und Spott umgehen und was er mit uns macht.

Orgel spielt leise die Melodie „O Haupt voll Blut und Wunden“



Geschichte (Lektor 1)

Der kleine Hans hatte einen Spottnamen. Seine Brüder nannten ihn Henkeltopp. Er hatte nämlich große und abstehende Ohren. Obwohl es ihm immer wieder weh tat, wenn er mit diesem Spitznamen gerufen wurde, hatte er sich schon so sehr daran gewöhnt, dass er beinahe vergaß, wie er wirklich heißt. Als Hans am ersten Tag in der Schule war, fragte die Lehrerin jedes Kind nach seinem Namen und trug ihn in ihre Liste ein. Hans hatte gar nicht zugehört, was gesprochen wurde. Unentwegt hatte er die Lehrerin angesehen. Sein Vordermann tippte ihn an: „Du sollst sagen, wie du heißt.“ Hans sah den Jungen verwirrt an. „Steh auf und sag mir, wie du heißt“, sagte die Lehrerin. Er stand auf. „Henkeltopp, sagte er.
Zuerst war Totenstille, dann brachen alle Kinder in helles Lachen aus. Die Lehrerin hatte Mühe, sie wieder zu beruhigen. „Du hast sicherlich noch einen Namen. Sag mir den!“, sagte sie freundlich. „Ja“, sagte Henkeltopp und nannte seinen richtigen Namen „Hans“.
In der Pause scharten sich alle Kinder um ihn. „Wie heißt du? Wie heißt du? Wie heißt du? Sag doch noch mal, wie du heißt!“ Henkeltopp stand stumm da, sah sie an und seine großen Ohren glühten wieder.
„Ich weiß, warum er Henkeltopp heißt“, rief ein Junge. „Weil er so große Ohren hat. Guck mal, sie sind ganz rot!“ Als die Mutter Hans von der Schule abholte, fragte sie: „Na, wie hat dir die Schule gefallen?“ „Ich möchte da nicht mehr hingehen“, schluchzte Hans und begann zu weinen. (Aus Vorlesebuch Religion 1, gekürzt, S. 55-57)


Solche Entstehungsgeschichten von Spitznamen sind uns allen nicht unbekannt. Wir wissen alle, welchen Lacher man auf seiner Seite hat, wenn man in einer Runde zum Mittel Spott greift. Wir wissen aber auch alle wie weh es tut, wenn man selbst veräppelt, auf die Schippe genommen, gefrotzelt, verarscht, hoch genommen, verspottet wird. Wie viele Verwundungen bleiben da zurück!

Anstoß (Lektor 2)

Du Langohr!
Mach Platz frei, die lahme Schnecke kommt angerast!
Den dürren Spargel bläst der Wind um!
Fenster auf, der Moschus verströmt wieder seinen Duft!
Was hat das Froschmaul da wieder gequakt?
Das Mondkalb mit seinem unschuldigen Blick!
Spitzbart, was meckerst du?
Achtung vor der Brillenschlange!
Der mit seinem Pfannkuchengesicht!



Pfarrer: Was fällt ihnen aus dem Repertoire der Spott- und Spitznamen noch alles ein? Stoff dafür geben reichlich das Aussehen, bestimmte Lebensweisen und Angewohnheiten von Menschen.


Orgel spielt leise die Melodie „O Haupt voll Blut und Wunden“



Besonders hart treffen die Spitzen des Spotts, wenn ein Mensch ohnmächtig ist und sich nicht mehr wehren kann.

Schrifttext (Lektor 1)

Da nahmen die Soldaten des Statthalters Jesus, führten ihn in das Prätorium, das Amtsgebäude des Statthalters, uns versammelten die Kohorte um ihn. Sie zogen ihn aus und legten ihm einen purpurroten Mantel um. Dann flochten sie einen Kranz aus Dornen; den setzten sie ihm auf und gaben ihm einen Stock in die rechte Hand. Sie fielen vor ihm auf die Knie und verhöhnten ihn, indem sie riefen: Heil dir, König der Juden! Und sie spuckten ihn an, nahmen ihm den Stock wieder weg und schlugen ihm damit auf den Kopf. Nachdem sie so den Spott mit ihm getrieben hatten, nahmen sie den Mantel ab und zogen ihm seine eigenen Kleider an. (Mt 27,27-31a)

Bildbetrachtung

Overheadfolie „Versuch einer Verspottung“ von Paul Klee
Orgel spielt leise die Melodie „O Haupt voll Blut und Wunden“


In seinem Todesjahr 1940 zeichnete Paul Klee in seiner besonderen Art diese Verspottungsszene. Nur wenige Striche.
Das menschliche Gesicht wird zur Fratze.
Der Spott nimmt tierische Züge an.
Meist zusammengepresste Münder, die hämisch grinsen und denen kein Wort des Erbarmens über die Lippen kommt.
Lüsterne Augen fallen direkt aus den Kopf, um über den Wehrlosen herzufallen.
Ein molliges Seelöwengesicht weidet sich schmunzelnd am Schicksal des Verspotteten.
Wie kläffende Hunde schauen die zwei Knirpse nach oben.
Und wie in einen Schraubstock eingepresst ist ein dornengekrönter Mensch, der die Augen geschlossen hat, um ganz nach innen zu gehen, zwischen einem Schweinsohrgesicht und einem kantigen Hexengesicht, dessen Nase sich zu einem großen stechenden Dorn formt.
Die Dornen auf dem Haupt wirken beinah zart gegen die geballte Wucht des stechenden und beißenden Spotts und Hohns um ihn her.
Bevor das Opfer getötet wird, muss es erniedrigt und der menschlichen Würde beraubt werden. Ein förmliches Warten auf den Augenblick, bis der Verspottete kraftlos in die Knie geht oder winselnd um Gnade fleht.



Orgel spielt leise die Melodie „O Haupt voll Blut und Wunde



Paul Klee stellt nicht nur mit seiner Zeichnung die biblische Verspottungsszene dar. Er beschreibt mit seinem Bild, wie zerstörend und entwürdigend Spott und Hohn auf Menschen ist, vor allem wenn sich viele zusammenrotten und über einen herfallen, der sich nicht wehren kann. Er fragt mich mit seiner Zeichnung:

Besinnungsfragen

Kann ich mich an Situationen erinnern, wo ich im „Kreis der Spötter“ saß, mich stark fühlte, andere herunterlaufen ließ oder durch Spott und Hohn zu einer lächerlichen Figur machte?

Welche Menschen habe ich auf den Kicker und lasse mich leicht hinreißen, hinterrücks oder bewusst vor ihnen über sie zu spotten, um sie klein zu kriegen?

Zu welchen Mitteln des Spotts greife ich dann gerne? Welche Namen, welche Ausdrücke kommen dann über meine Lippen?


Die Zeichnung fragt mich aber auch:
Welche Situationen aus meiner Lebensgeschichte kann ich niemals vergessen, wo ich Opfer von süffisantem, beißendem oder verletzendem Hohn und Spott geworden bin?
Wie bin ich mit dieser Situation umgegangen?
Sind vielleicht sogar lebenslange Wunden davon zurückgeblieben?

Habe ich mich schon einmal gefragt, worin der Reiz, das Motiv für Hohn und Spott liegt?
Liegt das Motiv vielleicht darin, dass ich an anderen verspotte, was ich an mir selbst nicht leiden kann?
Brauche ich den Hohn und Spott, weil ich selbst unter Minderwertigkeitskomplexen leide und durch das Frotzeln über andere mir das Gefühl von Überlegenheit suggerieren und mächtiger erscheinen möchte als ich eigentlich bin?

Orgel spielt leise die Melodie „O Haupt voll Blut und Wunde



Vergebungsbitte

Manche Gesichter, manche Situationen, manche Worte sind uns durch den Kopf gegangen. Bitten wir Gott mit den Worten des Liedes GL 164 „Erbarme dich, erbarm dich mein...“ um Verzeihung.

GL 164/1-4 abwechselnd zwischen rechter und linker Seite beten

Zuspruch

Gott möge uns vergeben.
Christus möge uns erneuern.
Gottes Geist mache uns fähig, in der Liebe zu wachsen. Amen.

Lied: GL 637/1-3

Ein Wort auf den Weg

Was kann mir helfen, vorsichtiger mit Hohn und Spott umzugehen? Einen Satz möchte ich Ihnen mit auf den Weg geben:

„Wer über sich selbst lachen kann, spottet nicht so schnell über andere.“

Um diese Haltung lasst uns beten:

Gemeinsames Vater unser

Sendungswort und Segen

Geht hin im Namen des lebendigen und fürsorgenden Gottes, der uns seinen Geist schenkt.
Geht hin, um euch dem entgegenzustellen, was Menschen entwürdigt und schadet
Geht hin, um aus Gottes Geist und Kraft zu leben
Dazu segne euch, der Vater, der Sohn und der heilige Geist. Amen

Lied: GL 178


Pfarrer Stefan Mai

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