Das Fest ist noch im Gange...

Predigt zum 2.Sonntag im Jahreskreis (Joh 2,1-11)

Einleitung

In einem modernen Lied heißt es: „Manchmal haben wir keinen Wein mehr. Manchmal sind unsere Krüge leer. Manchmal sind wir wie ausgebrannt: Ja, dann Herr, schenk uns dein Fest.“ Ich denke, Gottesdienst und Gebet sind Orte, an denen wir es uns dies erhoffen: Ein paar Gedanken, um aufzutanken, Stille, um Ruhe zu finden, Anregungen, um Leere zu füllen, eine Erfahrung zu machen, wie damals die Ahnungslosen auf der Hochzeit in Kana, von der wir heute hören.

Predigt

Das Fest ist noch im vollen Gange. Die Musik spielt auf. Die Paare tanzen noch. Die Stimmung ist gut. Die Gläser sind noch eingeschenkt. Doch da ist eine, die spürt: Da stimmt etwas nicht, da braut sich im Hintergrund etwas zusammen, da ist etwas am Kippen. Und obwohl sie selbst ein Stück ohnmächtig ist, lässt es sie nicht kalt und denkt nicht: Das ist nicht dein Bier, halt dich da bloß raus, du kannst eh nichts ändern. Und schon gar nicht genießt sie die drohende heraufziehende Panne für das Brautpaar, um sich über die Dummheit von anderen Leuten zu belustigen oder sich darauf zu freuen, in den folgenden Tagen über den Skandal zu tratschen. Sie macht sich Sorgen und Gedanken, was sie für die gute Atmosphäre unter den Mensche tun könnte. Und so wendet sie sich an ihren vertrautesten Menschen und teilt ihm ihre Sorge mit: „Sie haben keinen Wein mehr“.
Eigentlich verwunderlich. Die direkt Betroffenen spüren und ahnen noch nichts von der Bedrohung. Aber eine Frau namens Maria nimmt mit ihrer typisch weiblichen Sensibilität für das Hintergründige schon die Bedrohung für das Paar wahr.
Was in der Erzählung von der Hochzeit in Kana erzählt wird, ist aus dem Leben gegriffen:
Da ist bei dem jungen Paar nach außen hin alles in Ordnung. Sie bauen gerade an ihrem Traumhaus. Der Mann ist jede Minute seiner Freizeit auf dem Bau. Die beiden träumen von der harmonischen Beziehung, die man ungestört in diesen vier Wänden einmal leben kann und glauben, mit dem Bau des Hauses wird die Garantie für das Gelingen der Partnerschaft frei Haus mitgeliefert. Er arbeitet bis an die Grenze der körperlichen Erschöpfung, um möglichst kostengünstig und auch schnell das Haus fertig zu stellen. Für sie ist das Verlockende am neuen Haus die schöne und geschmackvolle Gestaltung und der gewonnene Raum – und insgeheim freut sie sich, von den Schwiegereltern wegzuziehen und endlich einmal ein wenig Distanz zu ihnen zu bekommen, ohne sie verletzen zu müssen.
Nach außen hin alles bestens. Nur ein Freund des Paares bemerkt: Die beiden gehen anders mit sich um, sie tun kaum mehr Dinge, die ihnen früher Freude gemacht haben. Sie nehmen sich für nichts mehr Zeit, haben kein anders Thema mehr als Fliesen, Spiegel, Parkett, Kachelofen und Solarzellen. Und er spürt und befürchtet: Auch wenn nach außen hin alles in Ordnung ist, geht einer jungen Liebe der Wein aus, bevor er reifen kann. Und eines Tages nimmt er sich den Mut: „Du, bei euch beiden stimmt etwas nicht mehr!“ Und die beiden fallen aus allen Wolken.
Nach außen hin ist bei der Mutter alles in Ordnung. Sie kann ihren Haushalt noch versehen, kauft noch ein, geht in die Stadt. Sie klagt und jammert nicht. Sie bittet auch nicht, kommt doch öfter vorbei, hat Verständnis für die Antwort: „Du, wir haben noch so viel zu tun. Du wir müssen nach so anstrengenden Wochen wieder einmal ausspannen und fahren ein paar Tage weg.“
Aber der Enkelin fällt auf: Die Oma wird immer ruhiger, desinteressierter, fragt nicht mehr nach und lacht kaum noch. Und eines morgens beim Frühstück schaut sie ihre Mutter an und meint: „Du, Mama, spürst du überhaupt, mit der Oma stimmt etwas nicht.“
Liebe Zuhörer, wenn das Kind in den Brunnen gefallen ist, dann schreit alles. Dann fragt alles, wie konnte denn das passieren, warum haben wir das nicht früher gemerkt. Das ist im familiären Bereich, im Freundschaftskreis, im Bereich der Kirche und der Politik so. Ich bin überzeugt, der Kollaps der sozialen Sicherheitssysteme, die schwieriger werdende Finanzierung des Gesundheitssystems, der Niedergang des kirchlichen Lebens in vielen Bereichen – das sind keine Phänomene, die erst seit ein paar Tagen auf dem Tisch liegen. Aber wir Menschen sind von Natur aus „Flüchter“. Wir packen Dinge, vor denen man sich nicht drücken kann, oft zu spät an, meist erst dann, wenn es einfach nicht mehr anders geht. Es bräuchte mehr Menschen vom Schlag einer Maria, die schon lange sensibel im Voraus spüren, was im Rutschen oder am Kippen ist, während das Fest noch im Gange oder alles noch in bester Ordnung erscheint, und darauf hinweisen, was zu bedenken ist, wo schon im Vorfeld gegenzusteuern ist und nicht erst dann wie gelähmt zu sagen: Da ist nichts mehr zu machen oder in den großen Jammerton einzustimmen oder immer die Schuld bei den anderen zu suchen, wenn manche Befürchtung bittere Realität geworden ist. Sensible und zugleich mutige Menschen nach der Art einer Maria bräuchte unsere Welt, unsere Kirche, nötiger denn je.

Fürbitten

Herr, unser Gott, im heutigen Evangelium steht Maria als Vorbild in mehreren Facetten vor uns. Wir bitten dich.

Maria steht uns im heutigen Evangelium als sensible Frau vor Augen. Wir bitten dich um Einfühlsamkeit, um die Lebenssituationen von Menschen besser verstehen zu können.

Maria steht uns im heutigen Evangelium als solidarischer Mensch vor Augen. Wir bitten dich um den Mut, uns auf die Seite von Menschen zu stellen, die Unterstützung und Hilfe nötig haben.

Maria steht uns als konfliktbereiter und -fähiger Mensch vor Augen. Wir bitten dich um die Kraft, uns nötigen Konflikten zu stellen.

Maria steht uns als selbstloser Helfer im Hintergrund vor Augen. Schenke uns die Entschlossenheit, Gutes zu tun, auch wenn es nicht mit unserer Person in Verbindung gebracht wird.


Pfarrer Stefan Mai

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