Der verschwundene Stern

Predigt zum Dreikönigstag 2004

Von Matthias Claudius gibt es ein ganz einfaches und doch sehr hintergründiges Gedicht mit dem Titel „Der verschwundene Stern“. Es lautet:

Es stand ein Sternlein am Himmel,
Ein Sternlein guter Art;
Das tät so lieblich scheinen,
So lieblich und so zart.

Ich wusste seine Stelle
Am Abend, wo es stand,
Trat Abends vor die Schwelle
Und suchte bis ich´s fand.

Und blieb dann lange stehen,
Hat große Freud in mir,
Das Sternlein anzusehen,
Und dankte Gott dafür.

Das Sternlein ist verschwunden,
Ich suchte hin und her,
Wo ich es sonst gefunden,
Und find es nimmermehr.


Eine gewisse Traurigkeit liegt in diesem Gedicht. Ein Stern im Leben, der Freude und Zuversicht ausgestrahlt hat, ist einem Menschen verlorengegangen. Jeden Tag hatte er ihn wie zu seinem Leben einfach dazugehörig erleben dürfen, direkt vor der Haustür in allernächster Nähe. Der Blick auf ihn beglückte und beschenkte den Betrachter Tag für Tag wie selbstverständlich. Plötzlich ist der Stern verschwunden.
Was nun? Macht der Sternbeobachter jetzt einfach enttäuscht die Tür zu? So, das war´s. Oder geht er jeden Tag neu hinaus, um den verschwundenen Stern zu suchen? Bleibt ihm noch eine Sehnsucht?
Nach neuesten Untersuchungen ist – man höre und staune – gerade für viele alten Menschen unserer Zeit der Stern des Glaubens verschwunden. Von der Kindheit an hat er sanft herübergeleuchtet, ließ einen sanften Schimmer auf das Leben leuchten. Er war irgendwie einfach da, ohne dass man ihn hätte suchen müssen. Doch im Laufe der Zeit ist er verlorengegangen, einfach so. Neu auf die Suche gemacht haben sich die meisten nicht. Sie sind sitzen geblieben und haben sich mit dem Verlust abgefunden, andere Dinge zu ihrem Stern auserkoren.
Gerade in solche Lebenssituationen hinein spricht die Geschichte von den Sterndeutern. Sie sagt: Erschreckt doch nicht gleich, wenn der Stern weg ist. Das passierte auch den Magiern aus dem Osten, die sich unter dem Geleit des Sterns aufgemacht hatten, um den König zu suchen. Kurz vor dem Ziel werden sie unsicher, der selige Aufbruch und die Begeisterung des Anfangs tragen nicht mehr. Zweifel steigen auf und sie wissen nicht mehr, wo sie suchen sollen. Sie brauchen einen Rat und geraten dabei beinahe in die Fänge eines Herodes, der suchende Menschen für sein Eigeninteresse einspannen möchte. Wenn der Stern des Glaubens für dich nicht mehr leuchtet und du ihn suchst, dann brauchst du Rat, meint der Evangelist – aber pass auf, wem oder welchen Dingen du dann nachläufst!
Der Stern des Glaubens leuchtet für kaum einen Menschen immer hell und klar. Wie oft schieben sich schwere Wolken davor. Gott tritt meist nicht so in Erscheinung, dass mir die Gotteserfahrung in den Schoß fällt. Ich kann Gott nicht vorschreiben, wie er zu sein hat, wie er sich mir gegenüber zu verhalten hat, wie er meine Bitten zu erfüllen hat. Gotteserfahrung erfordert Zähigkeit und Phantasie. Dafür sind die Sterndeuter aus dem Osten ein sprechendes Beispiel.
Am Ende der Magiergeschichte leuchtet der Stern nach allem Zweifel und Umweg wieder auf. Und im griechischen Urtext heißt es: „Sie freuten sich in einer sehr großen Freude.“ Die Magiergeschichte bittet jeden, der die Erfahrung macht, der Stern des Glaubens leuchtet mir nicht mehr wie in früheren Tagen oder ist sogar entschwunden, um eines: Verlier diese eine Überzeugung nicht, das Licht Gottes trügt nicht!


Pfarrer Stefan Mai

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