Und das Licht kam nach „Dogville“

Predigt zum 2. Sonntag nach Weihnachten (Joh 1,1-18)

Er gilt als einer der ideenreichsten Regisseure der Gegenwart: der Däne Lars von Trier. Dazu sind seine Filme oft geladen mit hintergründiger religiöser Symbolik. So auch sein neuester Film „Dogville“, der in den großen Zeitungen über die Maßen gelobt wurde.
Die Handlung spielt in den Rocky Mountains in einem kleinen Dorf, namens Dogville, zu deutsch „Hundedorf“, und erzählt eine Geschichte über das Zusammenleben von Menschen. Einzelne Personen des abgeschiedenen Dorfes werden vorgestellt: Ein Obstbauer mit Frau und Kindern, ein Arzt, eine Kaufmannsfamilie, ein Lastwagenfahrer, eine Putzfrau mit einer behinderten Tochter, ein Blinder, eine Mesnerin, die sich um das leerstehende Missionshaus sorgt, und Tom, der sich für einen Schriftsteller und Philosophen hält. Einen Pfarrer gibt es in Dogville nicht mehr. Das wird eigens erwähnt. Im leerstehenden Missionshaus beruft Tom von Zeit zu Zeit die Dorfversammlung ein, hält moralische Ansprachen oder diskutiert Anliegen des Gemeinwohls. Gebetet wird nicht. Dem Dorf fehlt jeder Bezug zum Himmel. Meisterhaft wird dies im Film durch die Lichteinstellung unterstrichen. Der Himmel ist verschlossen.
In dieses dunkle Dorf kommt ausgerechnet eines Nachts die flüchtende Grace und bittet um Aufnahme. Sie ist mittellos und will sich den Unterhalt dadurch verdienen, dass sie den Bewohnern zur Hand geht. Tom wird ihr Fürsprecher. Die misstrauische Dorfgemeinschaft gewährt ihr eine Probezeit. Die feine Kleidung von Grace weist sie als jemand aus , der nicht aus der Welt um Dogville herum stammt. Trotzdem lehnt sie keinen Dienst ab, nichts ist unter ihrer Würde. Sie wird eine Putzfrau für die Putzfrau, eine Pflegerin für den Arzt. Das Leben im Dorf ändert sich. Von Grace – und Grace heißt „Gnade“ – scheint ein Licht auszugehen, das sich in den anderen widerspiegelt und alle Einwohner verändert. Dieser Eindruck wird im Film durch die geniale Beleuchtung noch verstärkt. Dieses Licht hat etwas Sanftes, aber auch etwas Enthüllendes und Aufklärendes an sich. Den Blinden konfrontiert Grace mit seiner Blindheit und der Blinde hört auf, der Dorfgemeinschaft vorzutäuschen, kein Blinder zu sein. Der Arzt erhält Zuwendung und Pflege auch ohne seine eingebildeten Krankheiten. Und als das Licht beim Dorffest im Juli seinen Höhepunkt erreicht hat, soll Grace endgültig in die Gemeinschaft von Dogville aufgenommen werden. Da kommt der Sheriff und hängt einen Steckbrief von ihr aus. Die Gemeinde muss entscheiden: Gewährt sie der immer noch geheimnisvollen Fremden Schutz – oder liefert sie sie einfach aus?
Zuerst erhöht Dogville den Preis für Graces Aufenthalt. Sie muss doppelt so viel arbeiten. Dann reicht auch das nicht. Die Männer wollen mit ihr schlafen. Schließlich wird sie zur verachteten Dorfhure. Selbst Tom, ihr Fürsprecher und Freund lässt sie fallen. Eine hoffnungsvolle Geschichte wird zu einer Passionsgeschichte und endet damit, dass die Lichtgestalt Grace gefesselt und gedemütigt im Winter jenen Gangstern ausgeliefert werden soll, vor denen sie einst auf der Flucht war. Doch im abgründig-sten Moment nimmt die Geschichte eine atemberaubende Wende. Als die Gangster wie Todesengel in Dogville einfahren und Grace in die Limousine des Anführers gebracht wird, trifft sie – ihren Vater. Und unzugänglich für alle Bewohner entwickelt sich in der Limousine ein Dialog zwischen Vater und Tochter über die Frage: Gibt es in ganz Dogville wenigstens einen Gerechten?
Dogville ist die bewegende Geschichte von einem engelgleichen Wesen, das aus einer anderen Welt kommt und eine Botschaft für die Menschen hat, die aber letzten Endes von den Menschen nicht gehört werden mag und fallengelassen wird.
Dieser Film ist eine Liebeserklärung an Menschen wie Grace, die Licht für andere sein wollen, die die Welt ein Stück verändern, die zeigen, wie menschliches Zusammenleben gelingen könnte, aber ausgenutzt werden und am Ende unter die Räder kommen.
Dieser Film zwingt den Zuschauer zum Nachdenken über die Frage, Was ist der Mensch, Engel oder Tier? Egoist oder fähig, in Gemeinschaft und als Hilfe für den anderen zu leben.
Und für mich ist dieser Film eine grandiose Umsetzung des Lichtmotivs aus dem Johannesprolog, den wir heute bereits zum zweiten Mal in der Weihnachtszeit gehört haben, in unsere Zeit hinein: „Das wahre Licht, das jeden Menschen erleuchtet, kam in die Welt. Er war in der Welt, aber die Welt erkannte ihn nicht. Er kam in sein Eigentum, aber die Seinen nahmen ihn nicht auf.“ In aller Schärfe wirft er die Frage auf und lässt sie unbeantwortet stehen: Warum tut sich der Mensch so schwer, dieses Licht aus der anderen Welt anzunehmen?


Pfarrer Stefan Mai

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