Wer alles beim Alten lassen will …

Weihnachtsfest 2003

Weihnachten ist das Fest der Traditionen. Selbst die widerständigen 68er feiern mit ihren Kindern Weihnachten meistens, wie es immer war: Es wird ein Baum aufgestellt. Er steht immer an der gleichen Stelle, er wird jedes Jahr gleich geschmückt, es wird ein Speiseplan für die Festtage aufgestellt. Der Ablauf des Abends hat sein bestimmtes Ritual. Weihnachten ist am schönsten, wenn alles so ist, wie es schon bei den Eltern war.
So dachte auch die junge Familie: Es sollte ein Weihnachtsfest werden, so wie immer. Aber ein ganz besonderes, denn diesmal war es zum ersten Mal ein Weihnachten mit ihrem Kind.
Der Kleine kam gerade ins Krabbelalter. Überall griff er zu, zog an Tischdecken und Sofakissen. Das Weihnachtsfest kam näher. Einerseits hatten sie große Freude an ihrem Kind, andererseits wollten sie nicht auf den lieb gewordenen Weihnachtsbaum verzichten. Was aber, wenn der Kleine in der Wohnung herumkrabbelte und den Baum umriss? Baum und Kind, das wurde schwierig. Sie suchten nach einer Lösung – und fanden eine: Für Kinder gibt es Laufställe. Sie kauften einen Laufstall, kauften und schmückten den Weihnachtsbaum, freuten sich daran und setzten den Kleinen in den Laufstall. Doch das Problem war damit nicht gelöst, denn der Kleine schrie wie am Spieß, weil man ihn seiner Freiheit beraubt hatte. Also mussten sie neu überlegen. Und sie fanden eine Lösung. Sie nahmen das Kind aus den Laufstall und stellten den Weihnachtsbaum in den Laufstall. Auf diese Art wurde der Weihnachtsbaum geschützt und der Kleine konnte sich in der ganzen Wohnung entfalten.

Diese Geschichte gefällt mir. Sie erzählt nicht nur von einer jungen kreativen Familie. Sie sagt auch etwas über die Theologie des Weihnachtsfestes. Weihnachten ist kein Fest der festgefahrenen Traditionen, sondern das Fest, an dem der schöpferische Gott gefeiert wird, der auf die verrücktesten Ideen kommt. Als Kind einfacher Leute, in der Futterkrippe liegend, dort lässt er sich finden. Dort, wo ihn keiner erwartet.
Wir feiern das Fest gewöhnlich auf alten Gleisen, aber eigentlich will das Festgeheimnis unsere Gewohnheiten und Vorstellungen aus den Bahnen werfen. In Anlehnung an ein Wort von Bischof Kamphaus möchte ich das Festgeheimnis von Weihnachten so übersetzen: Mach’s wie Gott, werde kreativ!
Dem Kern des Weihnachtsfestes bleibt nicht treu, wer einfach Traditionen hütet, sondern wer versucht, mit den Anforderungen des Lebens kreativ umgehen. So dass es dem Leben hilft – und das Alte noch respektvoller angeschaut wird, wie es das junge Ehepaar gemacht hat.
LiebeLeser,
mitten in der Altstadt von Münster wird zur Zeit das Fundament für eine neue Kaufmeile ausgehoben. Das Gelände ist durch eine Schutzwand abgeschirmt. Aber die Bauherren haben sich etwas einfallen lassen. Rund um die Baustelle sind Sinnsprüche zu lesen, die alle um das Thema „kaufen“ und „Veränderung“ kreisen. Sie stammen von Modedesignern, Philosophen, Wirtschaftsfachleuten und Schauspielern – und sogar der Spruch eines Theologen hat Platz gefunden: „Wer alles beim Alten lassen will, muss den Mut haben, das Alte rechtzeitig zu ändern.“ Der Spruch passt nicht nur zur neuen Kaufmeile, er passt genau zu Weihnachten.


Pfarrer Stefan Mai

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