Inmitten der Nacht

Weihnachtsmette 2003

Metten - Teil

Guten Abend, gut’ Nacht, 1. Strophe


„Guten Abend, gut’ Nacht!“, eines der bekanntesten Abendlieder. Von Johannes Brahms in eine gefühlsbeladene Melodie gegossen, vermittelt das Lied Geborgenheit: Du kannst dich auf die Nacht freuen, das Bett ist schon zurückgeschlagen, du brauchst nur noch unter die Deck’ zu schlüpfen, dann kannst du behütet schlafen, es tut dir keiner etwas,
Da ist nichts von Angst zu spüren, von bösen Traumgebilden ist nicht die Rede, da schreckt nichts auf. Und du darfst sicher sein: Am Morgen weckt dich der liebe Gott wieder.

Guten Abend, gut’ Nacht, 2. Strophe


Ganz anders das bekannte Adventslied von Jochen Klepper. Da hat die Nacht nichts Romantisches an sich. Da ist die Nacht keine Wohltat. Sie wird zur Qual. Schon allein die düstere Tonart verrät: Da hat einer kein Auge zugemacht:

Die Nacht ist vorgedrungen (GL 111,1)


Das Lied fängt etwas von der Lebensstimmung des Jochen Klepper ein: Schon jahrelang ist er arbeitsloser Journalist, hält sich mit ein paar Romanen als freier Schriftsteller über Wasser,. Er ist mit einer Jüdin verheiratet. In der Nazizeit steht diese „Mischehe“ unter einem schlechten Stern. Das Leben seiner Familie wird immer mehr bedroht. Schließlich wird er sich 1942 zusammen mit seiner Frau das Leben nehmen, um den Nazis nicht in die Hände zu fallen.
Auch der Glaube gibt ihm nicht die Zuversicht: Dir kann nichts passieren. Auch im Glauben wandert er durch die unheimliche Nacht. Was ihm bleibt ist die Sehnsucht, dass wenigstens einer die eigene Angst und Pein sieht.

Die Nacht ist schon im Schwinden (GL 111,3)


Die Bibel erzählt: Es war Nacht, als die Botschaft von der Geburt Jesu verkündigt wurde.

Lektor

Es war Nacht
als er Mensch wurde.
Und diese Nacht
war mehr
als eine Tageszeit:

Nacht des Leids,
Nacht der Angst,
Nacht der Not,
Nacht der Hoffnungslosigkeit,
Nacht der Verstrickung,
Nacht des Verzweifelns,
Nacht der Irrwege,
Nacht des Desinteresses,
Nacht der Gedankenlosigkeit,
Nacht der Gleichgültigkeit,
Nacht der Verlassenheit,
Nacht der Gottverlassenheit,
Nacht.

Gleichzeitig
Nacht des Zweifelns,
Nacht des Fragens,
Nacht des Suchens,
Nacht des Tastens,
Nacht der Ausschau,
Nacht des „Warum“-Schreis.

Es war Nacht,
als er Mensch wurde.

Nacht,
Finsternis,
Gottesfinsternis –
Sehnsucht,
der verborgene Gott
möge erscheinen,
sichtbar werden,
spürbar werden,
einen neuen Morgen bringen,
neues Licht,
neue Hoffnung,
neues Vertrauen,
neues Leben.

Predigt

„So, liebe Kinder, das war euer Betthupferl. Gute Nacht, träumt recht süß und schlaft gut!“ Jedem von uns ist dieser stereotype Satz vom Betthupferl auf Bayern 1 noch im Ohr. Bis heute soll die Gute-Nacht-Geschichte Kindern helfen, ruhig zu werden und in den Schlaf zu fallen. Und wie oft schauen die Eltern ihre Kinder im Bett an, wenn sie wie die Engel schlafen – und beneiden sie fast. Eine Sehnsucht nach sorglosem, erholsamen Schlaf?
Und Sie, schlafen Sie nachts durch? Wie oft wachen Sie in der Regel auf? Wenn Sie aufwachen, was geht Ihnen dann durch den Kopf: die Arbeit? die Sorgen? Gesichter? Wenn Sie aufwachen, was machen Sie da? Zünden Sie Ihre Nachttischlampe an? Lesen Sie? Oder stehen Sie auf und schauen Sie Fernsehen? Essen oder trinken Sie noch etwas? Denken Sie einfach nach? Fangen Sie an zu beten?
Ist die Nacht für Sie etwas Schönes – oder haben Sie Angst vor der Nacht? Und wie gehen Sie damit um?
Eine Mönchsgeschichte erzählt: Ein junger Mönch hatte ein großes Problem. Er ging zu seinem Abt und wollte sich bei diesem erfahrenen, alten Mönch einmal aussprechen, das Problem so richtig von der Seele reden. „Vater Abt“, sagte der junge Mönch, „ich glaube, ich kann nicht im Kloster bleiben. Wenn ich im Chorgebet bin, dann merke ich, dass ich seit geraumer Zeit gar nichts mehr spüre. Und in der Messfeier ist plötzlich auch nichts mehr. An der Arbeit finde ich keine Freude mehr, im Gebet keine Erfüllung und in der Gemeinschaft keinen Halt. Es ist plötzlich alles so dunkel um mich herum. Ich weiß gar nicht mehr, wohin, in welche Richtung ich gehen soll. Ich glaube, ich kann nicht im Kloster bleiben.“
Der Abt hatte ganz ruhig zugehört. Nach einiger Zeit begann er zu sagen: „Ich erinnere mich gut, wie ich als junger Mönch eine Besorgung zu machen hatte. Vater Abt hatte mich am Nachmittag losgeschickt. Auf dem Rückweg im Wald wurde es schon dunkel und plötzlich so finster, dass ich den Weg nicht mehr fand. Ich wusste, ich war eigentlich schon ganz nahe am Kloster, aber die Nacht war so schwarz, dass ich mich immer nur noch weiter im Dickicht verirrte. Es blieb mir eigentlich nur eines übrig!“
„Sie haben sicher gebetet“, sagte der junge Mönch ganz eifrig. – „Ich habe mich hingesetzt“, erwiderte der Abt, „und ich habe gar nichts getan. Ich habe ganz einfach gewartet, bis es hell geworden ist! Und dann habe ich den Weg zum Kloster ganz leicht und auch sehr schnell wieder gefunden. Machen Sie nichts, mein Freund, machen Sie gar nichts! Setzen Sie sich hin und warten Sie, bis es hell wird.“
Diese Geschichte kommt aus der Erfahrung der Dunkelheit. Diese Gefühl, dass plötzlich alles, was noch vor Tagen so klar und deutlich gewesen ist, zu verschwimmen droht. Es gibt diese Zeiten, in denen wir plötzlich nichts mehr sehen, wo wir nicht mehr durchblicken. Dann suchen wir meistens verbissen nach Auswegen – und finden doch keine. „Tun Sie nichts, mein Freund, tun Sie gar nichts! Warten Sie einfach, bis es hell wird!“

Das wäre viel, wenn wir diese Haltung gewinnen könnten. Sie würde mancher Nacht des Lebens das Bedrohliche nehmen. Sie würde uns sagen: Dreh nicht durch. Auch die Nacht gehört zum Leben. Auch wenn du Gott nicht spürst, ist die „Nacht“ noch lange nicht gottlos. Die Geschichte der Weihnacht erzählt, dass mitten in der Nacht für Menschen sogar das Glück beginnen kann. Die Hirten, die voller Angst Nacht für Nacht ihre Herden bewachen, hören in dieser Nacht die Engel singen.
„Tun Sie nichts, mein Freund, tun Sie gar nichts! Warten Sie einfach, bis es hell wird!“, riet der alte Abt. Nicht nur der 24. Dezember kann dir zur „Weihnacht“ werden, das ist der Trost der heutigen Nacht.

Meditation nach der Kommunion

Orgel spielt leise „Die Nacht ist vorgedrungen“ (GL 111) – dazu wird das Gedicht „Um Mitternacht“ von Friedrich Rückert vorgetragen
Um Mitternacht
hab ich gewacht
und aufgeblickt zum Himmel;
kein Stern vom Sterngewimmel
hat mir gelacht
um Mitternacht.

Um Mitternacht
hab ich gedacht
hinaus in dunkle Schranken.
es hat kein Lichtgedanken
mir Trost gebracht
um Mitternacht.


Um Mitternacht
nahm ich in Acht
die Schläge meines Herzens.
Ein einzger Puls des Schmerzens
war angefacht
um Mitternacht.

Um Mitternacht
kämpft ich die Schlacht,
o Menschheit, deiner Leiden;
nicht könnt ich sie entscheiden
mit meiner Macht
um Mitternacht.

Um Mitternacht
hab ich die Macht
in deine Hand gegeben:
Herr über Tod und Leben
du hältst die Wacht
um Mitternacht.


Pfarrer Stefan Mai

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