Predigtreihe zum Advent 2003 – Alles Leben ist Begegnung

2.Adventssonntag: Geglückte Begegnung (Lesung: Hld 2,10-14; Ev.: Lk 1,39-56)

Einleitung

Haben auch Sie nur einen wirklichen Weihnachtswunsch? Nicht mehr allein zu sein, mit einem lieben Partner an der Seite durchs Leben zu gehen? Dann erfüllen Sie sich ihn doch! So wirbt eine Partnervermittlung in der heutigen Samstagsausgabe. Und darunter viele Kontaktanzeigen wie diese:
Leben, lieben, lachen,tanzen, füreinander da sein; Weihnachten, Silvester, oder für immer? Welcher nette Mann wagt noch einmal einen Neuanfang mit 51 j. Frau mit Humor und viel Herz und etwas molliger Figur gemeinsam durchs Leben zu gehen?

Weihnachtswunsch: Einsamkeit tut weh! Ich weiß, dass es dich gibt! Sie, 51, schlank, NR, fühlst du dich angesprochen?

Er, 43, sportlich, gutaussehend mit gutem Beruf, sucht passendes Gegenstück

Ganz deutlich sprechen solche Anzeigen aus: Glück erhoffen sich Menschen auch in unserer Gesellschaft nicht durch irgendwelche Dinge. Glück gibt es nur da, wo Begegnung zwischen Menschen gelingt, wo Menschen ja zueinander sagen, wo sie sich gegenseitig vertrauen, wo sie füreinander offen sind, wo sie sich ernst nehmen und annehmen. „Alles Leben ist Begegnung“ – unter diesem Motto steht die Predigtreihe im Advent. Die beiden Skulpturen von Willi Grimm mit dem Titel „Begegnung“ sollen uns helfen, über dieses zentrale Thema unseres menschlichen Lebens nachzudenken.

Predigt

In einem kleinen Büchlein mit dem Titel „Begegnung“ erzählt der jüdische Religionsphilosoph Martin Buber von der frühesten Erinnerung aus seinem Leben, die sein Denken maßgeblich beeinflusst hat. Seine Eltern hatten sich getrennt, als er drei Jahre alt war. Er kam zu den Großeltern. Von dem, was sich zwischen den Eltern ereignet hatte, wurde nicht gesprochen. Das Kind wartete jedoch selber darauf, seine Mutter bald wiederzusehen. Dann ereignete sich, was für Martin Buber für sein späteres Denken überaus bedeutsam wurde. Der Vierjährige erzählte beim Spielen einem älteren Mädchen von seiner Mutter und von seiner Hoffnung, dass sie bald zurückkommt. Da sagte das Mädchen: „Nein sie kommt niemals zurück.“ Dieses Wort verhaftete sich im Herzen Martin Bubers von Jahr zu Jahr immer mehr. Später hatte der erwachsene Philosoph das Wort „Vergegnung“ geprägt, womit er das Verfehlen einer wirklichen Begegnung zwischen Menschen bezeichnen wollte.
Für mich ist es kein Wunder, dass gerade diesen Mann, der unter der „Vergegnung“ seiner Eltern so sehr litt, in seinem Denken das Thema Begegnung nie loslässt, dass er immer wieder versucht, Wege aufzuzeigen, wie Begegnung gelingen kann. „Alles Leben ist Begegnung“ – „das Ich wird am Du“ , „nur du sagend wird der Mensch ich“, solche Sätze wird er später beim Nachdenken über wirkliche Begegnung schreiben.

Zwei moderne Skulpturen

„Begegnung“ nennt der Künstler Willi Grimm aus Kleinrinderfeld die beiden Skulpturen, die in der Adventszeit im Altarraum unserer Kirche stehen. Auf seine Art stellt er aufs Wesentliche reduziert dar, wie menschliche Begegnung gelingen kann. Mann und Frau stehen sich einander gegenüber in ihrer Unterschiedlichkeit und gehören doch zusammen. Sie gehen nicht ineinander auf, sie reiben sich aneinander (man beobachte die raue Oberfläche des rotbraunen Paares), sind sich aber trotzdem ungeheuer nah. Aber zugleich: Obwohl es sie zueinander hinzieht, obwohl sie mit dem bekannten mittelalterlichen Gedicht davon träumen: „Du bist mein. Ich bin dein, dessen sollst du dir gewiss sein“, müssen sie es trotzdem mit Werner Bergengruen eingestehen: „ Ich bin nicht dein. Du bist nicht mein. Keiner kann des andern sein.“ Schon unsere Haut grenzt den Menschen ab und lässt eine Verschmelzung nicht zu.

Trotz dieser Grenze gibt es Brücken, die unterschiedliche Menschen zu einem Miteinander und Ergänzendem werden lässt. Die Punkte, an denen sich in den Kunstwerken Grimms die gegensätzlichen Partner berühren sind im Kopf- Lippen- und Genitalbereich. Welch ein Glück, wenn Menschen, die unterschiedliche Denkstrukturen haben, entdecken: Der sagt genau das gleiche, was ich eben gedacht habe. Welch ein Glück, wenn zwei unterschiedliche Menschen das Gefühl haben: Trotz so vieler Unterschiede zieht es uns zueinander gefühlsmäßig hin. Wir passen und gehören zusammen. Wir können miteinander echt kommunizieren und nicht nur über das Wetter und was es zu Essen gibt reden. Welch ein Gefühl, wenn Menschen in fast ekstatischem Rausch sich einander hingeben können im festen Wissen: der andere lässt mich nicht fallen

Maria und Elisabeth

Eine geglückte Begegnung wurde uns heute auch in der Begegnung von Maria und Elisabeth geschildert. Da macht sich eine, die fast noch zu jung für ein Kind ist, auf zu einer, die schon zu alt ist dafür. Maria treibt es zu Elisabeth, um mit ihren Erfahrungen nicht allein zu bleiben. Sie scheint zu spüren: Wenn man mit seinen Erfahrungen ganz alleine bleibt, zermürben einen die schlechten, die guten dagegen zerbröseln einem. Und deshalb macht sie sich auf den Weg über die Berge. Immer gehört zu einer Begegnung ein Entschluss und ein Überwinden von Hindernissen. Immer erfordert echte Begegnung Kraft, sich auf dem Weg zum anderen zu machen, und ist nicht nur ein romantischer Spaziergang. Und wie Maria in das Haus der Elisabeth eintritt und von ihr empfangen wird, haben sie sofort eine gemeinsame Wellenlänge. Das drückt Lukas dadurch aus, dass er ihr Gespräch in eine Liedform gießt. Zwei Menschen sind beschenkt durch die Begegnung, erzählen einander ihre Erfahrungen und verfallen dabei von der Prosa in die Poesie, ins Lied.
Und dann dieses merkwürdige Bild: Während die beide Frauen von Angesicht zu Angesicht kommunizieren, nehmen die beiden Kinder in ihrem Bauch ebenfalls fröhlich Kontakt zueinander auf: „In dem Augenblick, als ich deinen Gruß hörte, hüpfte das Kind vor Freude in meinem Leib“, erzählt Elisabeth Maria. In diesem Bild hat sich anschaulich die Erfahrung niedergeschlagen, dass echte Liebe nicht zuerst aus dem Kopf, sondern aus dem Bauch heraus kommt. Bei einer gelungenen Begegnung springt der Funke über den Bauch über, und durch die Begegnung kommt das Innerste von Menschen in Bewegung und bleibt nicht nur beim oberflächlichem Plausch.

Liebe Leser,
eine moderne Plastik zum Thema „Begegnung“, eine alte Begegnungsgeschichte aus der Bibel – wie nah sie doch in der Auffassung von einer beglückten Begegnung beieinander liegen.

Fürbitten

Herr, unser Gott, es gibt kein sinnvolles Leben ohne Begegnung. Wir bitten dich:

Wir beten zu dir um Liebevolles Verständnis in den Familien, für alle Eltern und Kinder und für alle, die allein leben

A: Erbarme dich, Gott

Wir beten zu dir um eine gute Atmosphäre und ein gutes Miteinander am Arbeitsplatz, für Vorgesetzte und Angestellte, für Männer und Frauen, für jung und alt

Wir beten um Durchhaltekraft für alle, die in einer schwierigen Beziehung leben und die nicht wissen, ob ihnen dien Kraft dafür reicht

Wir beten um das Gelingen eines Neuanfangs einer Beziehung für alle, die in ihrer Beziehung gescheitert sind

Wir beten für uns alle um gute Begegnungen mit Menschen, die uns verstehen, die sich in unsere Lage einfühlen können und uns im Leben bereichern

Wir beten um Kraft für alle einsamen Menschen und alle, die völlig isoliert leben und die niemanden haben, der ihre Fragen teilt


Pfarrer Stefan Mai

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