Vier versteckte Sehnsüchte

Predigt zu den biblischen Motiven auf dem Taufstein von St. Maximilian Kolbe im Rahmen der Gottesdienste zum Schweinfurter Bibelweg

Einleitung

Zum Jahr der Bibel haben sich die evangelische Pfarrers- und die katholische Seelsorgskonferenz für ein besonderes ökumenisches Projekt entschieden: Den Schweinfurter Bibelweg. Jede evangelische Kirchengemeinde, jede katholische Pfarrei wählte sich ein biblisches Motiv ihrer Kirche, um es für interessierte Schweinfurter neu aufzuschlüsseln. An verschiedenen Sonntagen wurden und werden diese Bilder in eigenen Sonntagsgottesdiensten vorgestellt und meditiert. Die Hoffnung war, dass Menschen aus Schweinfurt sich auf den Weg machen, über den eigenen Pfarreihorizont einmal hinausschauen und sich auf die Suche begeben, welche biblischen Schätze in den verschiedenen Kirchen versteckt sind und dadurch die Schweinfurter Kirchen besser kennenlernen. Leider ist diese Anregung seitens des Dekanats nicht so recht angekommen.
Für den Schweinfurter Bibelweg haben wir uns für die biblischen Motive auf unserem Taufstein entschieden. Heute (und morgen) möchte ich diese in den Mittelpunkt unseres Gemeindegottesdienstes stellen. Ich bin überzeugt: Die Gäste, die heute eigens zur Suche gekommen sind, aber auch Sie als Pfarrangehörige von St. Maximilian Kolbe können Neues entdecken.


Predigt

Eines hat der Katholik in Fleisch und Blut, wenn er eine Kirche betritt. Wie automatisch tunkt er die Fingerspitzen ins Weihwasserbecken und macht das Kreuzzeichen. Viel denkt er sich dabei meist nicht. Ich nehme an, Ihnen geht es nicht viel anders. Sie kommen jedes Mal in unserer Kirche an einem besonderen Taufstein vorbei mit seinem aufwändig gestalteten Bronzedeckel und seinen vier Weihwasserspenderstellen. Jeder dieser Stellen ist durch ein biblisches Motiv gestaltet. Hand aufs Herz! Wissen Sie, was darauf dargestellt ist?



Auf unserem Taufstein sind zwei Motive aus dem Alten Testament und zwei Motive aus dem Neuen Testament dargestellt. Aus dem AT die Arche, die Noah im Chaos der Sintflut Schutz und Sicherheit gibt, und der Schlag des Mose auf den Felsen in der Wüste, der Wasser hervorbrechen lässt und vor dem Verdursten rettet.
Aus dem neuen Testament die Taufe des äthiopischen Kämmerers durch Philippus und das Gespräch Jesu mit der Samariterin am Jakobsbrunnen. Zufällige Wahl biblischer Geschichten, die etwas mit Wasser zu tun haben, könnte man sagen. Aber ich meine: Hinter diesen Bildern steckt mehr.

Dafür liefert schon der Taufsteindeckel einen Interpretationsschlüssel. Die Knospe, die über rissiger, ausgedorrter Erde aufgeht, lässt mich an ein Erlebnis denken, von dem ein Missionar erzählt hat. Er beobachtete oft einen Beduinen, der sich auf den Wüstenboden legte und sein Ohr in den Sand drückte. Der Missionar wunderte sich über dieses seltsame Verhalten. Eines Tages fasste er den Mut, den Wüstenbewohner zu fragen, was er denn da immer tue. Der Beduine schaute ihn mit großen Augen an und meinte: „Mein Freund, hörst du es nicht, die Wüste weint. Sie möchte ein Garten sein.“ Auch die Wüste sehnt sich nach Leben, sie möchte blühen, sie schreit nach Leben.


Diese Blüte auf dem Taufdeckel versymbolisiert unser menschliches Leben. Wer sehnt sich nicht danach, dass sein Leben gelingt, zur Entfaltung, zum Aufblühen kommt? Ich frage mich deshalb, ob man nicht einmal in den vier biblischen Stellen, die als Weihwasserstellen künstlerisch gestaltet sind vier wichtige Grundsehnsüchte unseres menschlichen Lebens ausgedrückt sind?

Arche Noah - (Buch Genesis, Kapitel 6-9)


Jeder Mensch trägt die Sehnsucht nach Geborgenheit in sich. Kein Wunder! Denn das menschliche Leben beginnt damit, dass ein werdendes Kind im Leib der Mutter Geborgenheit spürt und über neun Monate hinweg getragen wird. Diese Zeit, an die sich kein Mensch erinnern kann, wird zum Urerlebnis und diese Sehnsucht nach Geborgenheit bleibt ein Leben lang. Nicht nur Kinder wollen getragen werden. Auch bei erwachsenen und alten Menschen stirbt die Sehnsucht nicht, von Menschen nicht fallengelassen zu werden, sondern eine Beziehung, einen Ort zu haben, wo ich mich in den vielen Unsicherheiten des Lebens absolut gehalten und getragen weiß. Die Arche des Noah ist für mich für diese Sehnsucht ein Ursymbol, auch in stürmischen Wassern getragen zu werden und Noah ein Mensch, der durch seinen Glauben und seine Lebenshaltung diese Sphäre der Ruhe und Sicherheit ausstrahlt.

Dort drüben auf dem Felsen am Horeb werde ich vor dir stehen. Dann schlag an den Felsen! Es wird Wasser herauskommen, und das Volk kann trinken. Das tat Mose vor den Augen der Ältesten Israels. - (Buch Exodus, 17. Kapitel, Vers 6)


Trockenheit des Lebens erleben Menschen heute zwar unter anderen Bedingungen, aber genauso bedrohend wie die Israeliten auf ihrem Zug durch die Wüste. Das Gefühl, innerlich ausgebrannt zu sein. Die Arbeit ist kräfteaufzehrend und bringt doch keine Erfüllung. In der Beziehung „staubt´s“. Nichts geht mehr locker und leicht. Jeder Tag wird zum mühsamen und anstrengendem Geschäft. Die Spritzigkeit des Lebens ist verlorengegangen. Man fühlt sich einfach müde, mürbe und angeödet. Wie schön wäre es, mit einem Schlag alles zu verändern, mit einem Schlag wieder an neues Lebenswasser heranzukommen, den Lebensdurst ein Stück zu löschen – so wie dieser Mose es mitten in der Wüste erleben darf. Aber auch das ist klar. Nur wer die Sehnsucht nach neuem Lebenssinn hat, nur wer sich nach neuen Lebensquellen sehnt, nur der sucht auch danach. Nicht umsonst heißt dieser Lebensmotor in uns Sehn-Sucht.

Taufe des äthiopischen Kämmerers - (Buch Apostelgeschichte, 8. Kapitel, Verse 26-40)


Dieser Mann , ein Eunuch der Königin von Äthiopien, ist allein auf dem Weg durch die Wüste, erzählt die Apostelgeschichte, auf der Heimfahrt von Jerusalem. Langsam trottet sein Eselskarren durch die Wüste. Er ist unterwegs mit Fragen, über die er nachbrütet. Er hat im Lesestoff, den er sich aus Jerusalem mitgenommen hat, etwas Neues entdeckt. Es arbeitet in ihm. Das treibt ihn um. Aber es ist keiner da, der mit ihm darüber spricht. Da wird ihm Philippus wie ein rettender Engel geschickt. Er spricht ihn an: „Verstehst du auch, was du da in deinem Buch liest?“ Und durch dieses Angesprochenwerden wird eine neue Richtung im Leben eines Menschen gelegt. Warum greifen so viele Mensche heute in Buchläden zu Schriften aus der Ratgeberecke und zu Büchern aus der Sparte Lebenshilfe, warum surfen so viele Mensche täglich im Internet? Das ist Sehnsucht nach gelingendem Leben! Und warum verlieren sich so viele neue Ansätze und neu gefundene Spuren wieder im Sand? Vielleicht deshalb, weil nach wie vor der Mensch als Ansprechpartner und Gesprächspartner unersetzlich ist?

Die Samariterin am Brunnen - (Evangelium des Johannes, 4. Kapitel, Verse 21-42)


Eigentlich ist sie mit der Welt fertig. Um die Mittagszeit, in der kein normaler Mensch im heißen Orient zum Brunnen läuft, macht sie sich mit ihrem leeren Wasserkrug, Sinnbild für ihre innere Leere, auf den Weg. Sie hat die Menschen satt. Zu oft ist sie von Menschen enttäuscht worden. Zu viel ist durch diese Enttäuschungen in ihr kaputt gegangen. Und da trifft sie einen, der anders ist als sie es bisher erfahren hat. Da begegnet sie einem, bei dem spürt sie Einfühlsamkeit. Sie spürt, ich werde ernst genommen und erfahre auch Anerkennung. Und diese Frau, die dicht gemacht hatte, spürt neu die Sehnsucht nach Aussprache. Sie kann sich wieder neu einem Menschen öffnen. Ein Gespräch kommt in Gang, das nicht nur über das Wetter geht und was es zum Essen gibt oder sich in oberflächlichem Geschwätz verliert. Und diese Aussprache führt neu in die Tiefen der eigenen Person und eröffnet eine neue Lebensperspektive.



Liebe Leser!
Wenn Menschen unsere Kirche betreten, so tragen sie ihre Freuden und Sorgen, ihre Hoffnungen und Ängste und auch ihre Sehnsüchte mit in den Raum. Ich bin überzeugt. Wir würden so manchen Gottesdienst mit größerer innerer Ergriffenheit mitfeiern, wenn wir uns manchmal auf dem Weg zur Kirche die Frage stellen würden: Wonach sehnst du dich zur Zeit besonders? Welche Sehnsucht spürst du besonders stark in dir: Die Sehnsucht nach Geborgenheit, nach neuem Lebenssinn und Orientierung, nach Ansprache und Anerkennung, nach Aussprache und Tiefgang im Leben? Vielleicht würde für mich dann der oft gedankenlose Ritus des Weihwassernehmens an unserem Taufstein mit einem neuen Inhalt gefüllt und mein Benetzen der Finger mit Weihwasser zu einem stummen Gebet: Gott, du kennst meine Sehnsucht nach Geborgenheit, nach Lebenssinn, nach Ansprache und Aussprache. Vielleicht würde es mich dann zu bestimmten Zeiten zu einem ganz bestimmten biblischen Motiv an unserem Taufstein hinziehen, weil ich mich besonders von diesem Sehnsuchts-Bild angesprochen und verstanden weiß.
Sehnsucht ist eine Lebenskraft. Maria von Ebner- Eschenbach war überzeugt:„Nicht der ist zu bedauern, dessen Sehnsucht nicht in Erfüllung geht, sondern der, der keine mehr hat.“


Pfarrer Stefan Mai

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