Eine ganz Große

Predigt zum 29. Sonntag im Jahreskreis/ Tag der Seligsprechung von Mutter Teresa (Mk 10,35-45)

Einleitung

Jesus löste eine Bewegung aus und forderte von seinen Nachfolgern, beweglich zu bleiben. Doch selbst bei denen, die alles liegen und stehen ließen und seiner Bewegung beitraten, zeigte sich bald der Wunsch nach Sicherheit. Sie wollen entschädigt werden und ankommen: Auf den Plätzen rechts und links neben ihm. Die Schüler Jesu wollen schon wieder bald auf Stühlen setzen, anstatt auf dem Weg zu bleiben oder sich neu auf den Weg zumachen.
Das ist die Urversuchung der Kirche bis heute: Machtapparat sein wollen anstatt Bewegung bleiben.

Predigt

Ende August 1997 beschäftigte die Weltöffentlichkeit ein Ereignis: Der Tod von Lady Diana. Wie Menschen damals auf den tragischen Tod der Prinzessin des Herzens reagiert haben, glich fast einer Erhebung zu den Altären, einer Stilisierung zu einer Heiligen. Wochenlang war ihr Gesicht in den Zeitungen zu sehen, wochenlang gab es Spekulationen über ihr Privatleben; eine nicht stillbare Sehnsucht, Hintergründe über ihr Leben, über ihre unglückliche Liebe, über ihre eigentliche Seele zu erfahren. Und dann Milliarden an den Fernsehern, die den bewegenden Gottesdienst für sie mitverfolgten, beim Lied von Elton John „candle in the wind“ oft die Tränen nicht mehr halten konnten und tief beeindruckt waren, wie der Sarg unter dem tiefen Geläut aus der Westminster Abbey hinausgetragen wurde.
Am 5.September 1997 verstarb kaum eine Woche später Mutter Teresa von Kalkutta. Über Jahrzehnte hinweg hatte sie sterbende Kinder fast täglich im Arm, und nicht nur wie Lady Diana ein hungerndes Kind zum Pressefoto, das in der Weltöffentlichkeit schwer Eindruck machte. Über Jahrzehnte hinweg lebte sie in äußerster Einfachheit bei den Armen, Kranken und Sterbenden und nicht in Palästen. Über Jahrzehnte hinweg bemühte sie sich um ein friedliches Zusammenleben zwischen Hinduisten, Buddhisten und Christen. Aber das Interesse in der Öffentlichkeit an ihrem Tod blieb weit hinter der Trauer um die Herzensprinzessin zurück.
Damals fragte ich mich: Ist unsere Welt schon so verblendet, dass sie kein Gefühl für echte Größe mehr hat. Und zugleich dachte ich mir: Diese einfache, bescheidene Ordensschwester hätte sich kein besseres Datum für ihren Tod aussuchen können, sie hätte sich nichts besseres wünschen können, als dass ihr eine andere die Show stiehlt, wo sie doch nie im Rampenlicht stehen wollte. Symptomatisch für diese Haltung steht für mich eine kleine Begebenheit aus den 90er Jahren:
Unter den Journalisten wurde bekannt, Mutter Teresa nehme an einer Messe bei den kleinen Brüdern von Charles de Foucauld teil. In Strömen drängten sich die Presseleute in die kleine Kirche. Sie drückten zwei Schwestern der Missionarinnen der Nächstenliebe an die Seite, die mit geneigtem Kopf den Besuchern die Kirchentüren aufhielten. Jeder wollte den besten Platz für sich erheischen. Doch dann die große Enttäuschung: Mutter Teresa war nirgends in der Kirche zu sehen. Sie war gar nicht da. Zum Gottesdienst waren natürlich die Journalisten nicht gekommen. Damit wollten sie sich die Zeit nicht um die Ohren schlagen. Kaum hatte die Messe begonnen, gingen die verärgerten Journalisten wieder. Dann schlossen auch die beiden Schwestern, die am Eingang standen, die Kirchentüren, traten nach vorne und schauten auf. Und siehe da: Eine von ihnen war Mutter Teresa! An ihr hatten sich alle sensationshungrigen Fotografen vorbeigedrückt, ohne sie auch nur wahrzunehmen. Ein Weltstar steht eben nicht nebendran und hält anderen die Tür auf!
Liebe Leser! Heute am 19. Oktober wird Mutter Teresa von Papst Johannes Paul II. selig gesprochen und den Menschen als Vorbild selbstlosen Dienens vor Augen gestellt. Für mich gibt es am Tag ihrer Seligsprechung kein treffenderes Evangelium als das Evangelium des heutigen Sonntags. Denn da schenkt Jesus seinen Jüngern, die auf die besten Plätze schielen, klaren Wein ein und nennt das Kriterium, das er als einziges für echte Größe gelten lässt: „Wer bei euch groß sein will, der soll euer Diener sein, und wer bei euch der Erste sein will, soll der Sklave aller sein“ (Mk 10,43f).

Fürbitten

Heute am Tag der Seligsprechung von Mutter Teresa bitten wir Gott

Für den Orden von Mutter Teresa, für die Missionarinnen der Nächstenliebe: Lass sie im Geist der Ordensgründerin weiterhin im Dienst an den Ärmsten der Armen Zeugnis für dich ablegen.

Für alle Menschen, die unbeachtet auf der Straße oder in größter Einsamkeit sterben müssen. Lass sie dennoch an deiner Güte nicht verzweifeln.

Für die Männer und Frauen, die sich wie Mutter Teresa für die Verständigung unter den Weltreligionen einsetzen. Schenke ihnen den langen Atem.

Für alle, die trotz hoher Positionen bescheiden geblieben sind und um ihre Kleinheit wissen. Bewahre sie weiterhin vor allem Machtgehabe und Allüren.

Für uns selbst, dass unser Glaube in unserem Lebensstil Konsequenzen zeigt.

Gott, wir danken dir für das Lebensbeispiel von Mutter Teresa. Wir danken dir, dass durch Menschen bis heute deine Sorge für Menschen sichtbar wird. Amen


Pfarrer Stefan Mai

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