Erst als es fehlte...

Predigt zum Erntedankfest 2003

Einleitung
Obwohl uns Franken eine gewisse Sturköpfigkeit nachgesagt wird, so ist auch eines klar: Wir haben keine harte Sprache und können harte Konsonanten meist nur weich aussprechen. Da wird aus einem harten „t“ meist ein weiches „d“ und aus einem harten „p“ ein weiches „b“. Und wehe, wenn einer, der mit dieser Weichheit unseres Dialekts aufgewachsen ist, dies bewusst hundertprozentig hinkriegen möchte, dann geht es ihm wie dem bekannten fränkischen Kardinal Julius Döpfner, der mit dem weichen d und harten t seine liebe Müh und Not hatte und für manche Belustigung mit seinen falschen Betonungen sorgte.
Der Gottesdienst wird oft als Tankstelle für das Leben bezeichnet, auftanken durch eine ruhige Atmosphäre, durch einen guten Gedanken. Wenn ich dieses Wort Tankstelle fränkisch ausspreche, dann wird aus de Wort Tankstelle eine „Dankstelle“. Und genau das will das heutige Fest, der heutige Gottesdienst am Erntedank sein: Dankstelle

Predigt

Von Rainer Malkowski gibt es ein einfaches, fast stilles Gedicht. Es trägt den Titel „Das Licht“. Es lautet:

Es hat mich begleitet,
beinahe jeden Tag.
Es zeigt mir das Meer und die Tiere,
den Schnee auf den Bergen
und im Waldschatten den Farn.
Ich habe mich für das Licht
nicht bedankt.
Es wies auf die Gegenstände
und lehrte mich sprechen.
Es lehrte mich lesen und schreiben
nach der Natur.
Ich habe mich für das Licht
nicht bedankt.
Einmal zog es sich zurück,
und ich konnte im Spiegel
meine Augen nicht finden.
Aber dann kehrte es wieder
und ich habe mich
flüsternd bedankt.


Das Licht, es war selbstverständlich, es war einfach da, ohne dass der Dichter es als etwas besonderes empfunden hatte. Es war ein selbstverständlicher Begleiter des Lebens. Durch das Licht konnte er die Natur wahrnehmen. Es war Lehrmeister aller Wahrnehmung. Doch all das war für ihn kein Anlass zum Dank. Auf einmal passierte es: Die Augen fanden ihr Spiegelbild nicht. Der Dichter erschrickt. Hinweis auf eine Sehstörung oder eine psychische Verwirrung. Und er schämt sich, wie selbstverständlich er dieses große Geschenk nahm. Und es wurde ihm die Notwendigkeit bewusst, Dank zu sagen: „Aber dann kam es wieder und ich habe mich flüsternd bedankt.“
Liebe Leser, mit einfachen Worten und Bildern beschreibt Rainer Malkowski eine urmenschliche Erfahrung. Wir nehmen das Schöne, das Helle, alles was Freude macht und Glück im Leben schenkt als selbstverständlich, fast als Anrecht. Und erst im Moment, wenn es nicht mehr da ist, spüren wir wie groß es war und was wir eigentlich verloren haben. Aber wir haben uns vorher nie dafür bedankt.
Wie vielen Eltern geht es so. Jahrelang waren die Kinder daheim. Ihre Stimmen füllten das Haus. Erst jetzt, als die Kinder aus dem Haus sind, wissen Eltern, dass die Erziehungsarbeit nicht nur Mühe war, sonder dass sie in vielem durch die Kinder beschenkt wurden.
Wie viele dachten: Ach wenn doch nur die Schule endlich vorbei wäre. Dieses ewige Gelerne, dieses Eingespanntsein in Prüfungen und Hausaufgaben. Erst wenn die Schulzeit vorüber ist, geht einem auf, dass man kaum ein freierer Mensch war als in dieser Zeit, dass man nie so viel Freizeit hatte als in der Schule, dass viele Beziehungen, die in den Klassen einfach so entstanden, für die persönliche Entwicklung ungeheuer wichtig waren.
Wie selbstverständlich ist uns der reich gedeckte Tisch beim Mittagessen. Es gehört einfach dazu: die Vielfalt der Speisen, die Abwechslung. Erst als er dies und jenes nicht mehr essen und trinken kann oder darf, geht ihm auf, was einem Jahrzehnte wie selbstverständlich an Genuss geboten war.
Wie oft höre ich solche Stimmen im Krankenhaus: Erst jetzt spüre ich durch meine Krankheit, dass es nicht selbstverständlich war, Jahrzehnte gesund gewesen zu sein, arbeiten und springen zu können. Erst jetzt nach meinen Herzinfarkt spüre ich, dass ich ein Herz habe, erst jetzt merke ich durch die andauernden Bandscheibenschmerzen was es eigentlich heißt, ohne Schmerzen leben zu dürfen.

Einmal zog es sich zurück,
und ich konnte im Spiegel
meine Augen nicht finden.


Erst wenn mir scheinbar selbstverständliches verloren geht mir sein eigentlicher Wert auf. Erst dann spüre ich oft, wie dankbar ich hätte dafür eigentlich sein müssen.

Aber dann kehrte es wieder
und ich habe mich
flüsternd bedankt.


Verlust, dunkle Zeiten, das Erleben von Schwerem sind meist nicht umsonst. Sie helfen mir, das oft vergessene Wort „Danke“ wieder leise zu flüstern.

Fürbitten

Im Psalm 103 ermahnt sich ein Beter selbst mit den Worten: Lobe den Herrn, meine Seele, und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat. Wir bitten Gott:

Lehre uns die Wohltaten deiner Güte im Leben entdecken

Lass uns die Güte und das Wohlwollen von Menschen, die es mit uns gut meinen, nie als selbstverständlich nehmen

Lass uns auch nach dem Sinn von schwer Verständlichem im Leben fragen

Sei besonders Menschen nahe, die in ihrem Leben die Freude, die Güte, den Glauben und die Hoffnung verloren haben

Vergilt unseren Toten alles Gute, worum sie sich in ihrem Leben bemüht haben


Pfarrer Stefan Mai

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