Dieser Text – eine nicht mehr zumutbare Zumutung?

Predigt zum 21.Sonntag im Jahreskreis (2.L: Eph 5,21-32)

Einleitung

Wenn junge Menschen ihre kirchliche Trauung vorbereiten, dann bitte ich sie immer, sich Texte zu wählen, die sie ansprechen und ihnen auch etwas zu sagen haben. Zu den Dauerbrennern unter den biblischen Texten gehört zum Beispiel das berühmte Hohelied der Liebe aus dem Korintherbrief mit den bekannten Worten: „Die Liebe ist langmütig, die Liebe ist gütig, sie ereifert sich nicht, sie prahlt nicht, sie bläht sich nicht auf.“ Aber ein Text hat bei jungen Leuten kaum mehr eine Chance in der kirchlichen Trauliturgie, der Abschnitt aus dem Epheserbrief, den wir heute als Lesung hören und in dem es um das Verhältnis von Mann und Frau zueinander geht.

Predigt

„Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter wie Christus, dem Herrn; denn der Mann ist das Haupt der Frau, wie auch Christus das Haupt der Kirche ist!“
Die Zeiten sind vorbei, dass Männer beim Hören dieses Textes zu schmunzeln beginnen, ihrer Frau dabei ein wenig in die Seite stupsen und ihr so andeuten: Hast du´s gehört? Diese Zeilen aus dem Epheserbrief bereiten vielen Menschen von heute Schwierigkeiten, keineswegs nur den Frauen. Schnell bauen sich innere Sperren gegen ihn auf: Kann dieser patriarchalisch anmutende „Pascha-Text“ in der heutigen Zeit angesichts des modernen Rollenverständnisses von Mann und Frau einem Hörerpublikum überhaupt noch zugemutet werden, ohne Gefahr zu laufen, dass er als Unsinn oder unzumutbare Zumutung abgelehnt wird? Haben wir nicht die Zeiten eines solchen Frauen- und Männerbildes hinter uns gelassen?

In der Wochenzeitung „Die Zeit“ stellte vor ein paar Jahren ein Journalist einer Muslimin, die sich mit Nachdruck für eine Überwindung frauenfeindlicher Tendenzen im Islam einsetzt, die Frage, ob der Koran nicht die Unterordnung der Frau unter den Mann verlange. Die muslimische Frau gab eine überraschende Antwort: „Mein Mann hat auch immer den Koran zitiert, in dem steht, behandle deinen Mann, als sei er dein Gott. Aber dann,“ fuhr sie weiter, „muss der Mann auch göttliche Qualitäten haben. Ist er fair, gerecht, freundlich, wohltätig? Wenn nicht, dann gehorche ich ihm nicht.“ Eine provozierende Antwort! Der Mann verdient nur Respekt, wenn er das Format Gottes hat.
Auf der Spur dieser überraschenden Antwort der Muslimin, die den Koran beim Wort nimmt, lässt sich auch der schwierige Text aus dem Epheserbrief besser verstehen. Nehmen wir in der Art der muslimischen Frau den Text beim Wort. Der Epheserbrief fordert nämlich nicht kategorisch und plump, wie es in seiner Zeit gang und gäbe war: „Ihr Frauen, ordnet euch euren Männern unter!“, sondern fügt hinzu „wie Christus dem Herrn“. Und er stellt diesem Wort an die Frau den Satz voran: „Einer ordne sich dem anderen unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus!“ Und er wendet sich danach sofort an die Männer: „Ihr Männer liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat.“
Merken wir, wie da ein biblischer Schriftsteller um Korrekturen am patriarchalischen System seiner Zeit bemüht ist? Merken wir, wie da einer patriarchalisches Denken überwinden will, indem er Frau und Mann und vor allem die Männer auf das Lebensbeispiel Jesu verpflichten will. Das heißt doch: Ihr Männer, wenn ihr Respekt von euren Frauen erwartet, dann habt ihr nur Anrecht darauf, wenn ihr das Format Jesu Christi habt. Wenn ihr eurer Partnerin in der offenen und einfühlsamen Art, wie Jesus auf Menschen zugegangen ist, begegnet. Wenn ihr - wie er - bemüht seid, das Gute im Menschen zu sehen und zu fördern, wenn euere Frau in eurer Nähe aufatmen und aufblühen kann, wenn ihr dem Schweren und Leid nicht aus dem Weg geht und durch einen fürsorglichen Lebensstil ein Geschenk für den Partner sein wollt.

Liebe Leser, ich hoffe, wir haben gespürt, wie in diesem Text ein gläubiger Mensch durch die feinen Untertöne, die er in gängige Denkmuster einstreut, die Vision eines Umgangs von Menschen miteinander entwickelt, die sich am Lebensbeispiel Jesu orientieren, die einander achten und wertschätzen und einer dem anderen zuvorkommen.
„Ihr Männer, liebt eure Frauen, wie Christus die Kirche geliebt und sich für sie hingegeben hat.“ „Einer ordne sich dem anderen unter in der gemeinsamen Ehrfurcht vor Christus.“
Da bliebe von einer Herrschaft des Mannes über die Frau nichts mehr übrig. Da hätten alle die gleiche Würde. Da schulden alle einander Respekt und Achtung. Ich frage mich: Hat unsere Zeit, die wunder meint, wie fortschrittlich sie im Rollenverständnis von Mann und Frau sei, auch nur annähernd diese Einsicht des Epheserbriefes eingeholt, über dessen Worte sie die Nase rümpft?

(Nach einer Idee von Franz-Josef Ortkemper, aus PuK Heft5/1997,S.577-580)


Pfarrer Stefan Mai

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