Frömmigkeit auf dem Erdboden

Predigt zum 20. Sonntag im Jahreskreis (Eph 5,15-20)

Einleitung
Mir wird immer in Erinnerung bleiben, wie unser damaliger Regens Heinz Röschert kurz vor der Priesterweihe zur Einführung in die Kunst der Beichtpastoral einen Satz von Teresa von Avila zitierte: „Besser ist ein kluger Beichtvater als ein frommer.“ Ein solches Wort lässt stutzen. Und dabei steht die forsche mittelalterliche Frau nicht allein. Auch im Epheserbrief heute werden ähnliche Töne angeschlagen.

Predigt
Rückbesinnung auf das Kerngeschäft ist zur Zeit der große Slogan bei Tagungen, bei denen es um die zukünftige Richtung der Kirche geht. Und unter Kerngeschäft versteht man „Frömmigkeit“ und „Spiritualität“. Es wird behauptet, dass es in unserer Gesellschaft eine große Sehnsucht nach Spiritualität gibt, einen Hunger nach Religion, auch wenn er nicht genau zu definieren ist. Deswegen müsse Kirche gerade auf diesen Hunger eingehen und als Anbieter mit großer Erfahrung auf diesem Markt ihren Schatz an Spiritualität und Frömmigkeit präsentieren.
Und das hätte ganz praktische Konsequenzen: Bei zunehmendem finanziellem Engpass und notwendigem Stellenabbau auch in der Kirche muss Spiritualität oberste Leitlinie werden. Man fragt sich: Was ist unsere ureigenste Aufgabe und was könnte genauso gut von Kommunen und anderen Trägern geleistet werden? Pflege von Kranken, das Betreiben vieler Beratungsstellen, die Unterhaltung von Kindergärten und Jugendtreffs, das Organisieren von Bildungsangeboten – das können auch andere. Priorität im kirchlichen Bereich muss bleiben: Eucharistiefeiern und Gebetsgottesdienste, Meditationsangebote und Exerzitien, Bibelkreise, Anleitungen zum persönlichen Gebet und Anlaufstellen für religiös suchende Menschen in den Städten.
Wenn ich die derzeitige Diskussion höre, macht es mich stutzig, dass ausgerechnet der fromme Epheserbrief, aus dem wir heute eine Passage gehört haben, andere Prioritäten setzt.
Auch der Epheserbrief rät zur Frömmigkeit. Vom Psalmen- und Liedersingen ist die Rede, vom Danksagen und Gott Loben aus vollem Herzen. Aber diese frommen Ratschläge stehen ganz am Ende. Denn der Epheserbrief weiß: Frömmigkeit, Gebet, Spiritualität hängen im luftleeren Raum, wenn sie nicht geerdet sind. Nach dem Epheserbrief beginnt Frömmigkeit mitten im Alltag: „Achtet sorgfältig darauf, wie ihr euer Leben führt! Nicht töricht, sondern klug. Nutzt die Zeit!“
Auf Kurzformeln gebracht heißt das: Frömmigkeit beginnt nicht mit vielen Gebetsübungen, sondern mit der nüchternen Frage: Wie packe ich mein Leben klug an? An erster Stelle steht nicht: wie lange und wie oft ich meditiere oder wie viele Gottesdienste ich besuche, sondern: dass ich die Zeit nutze, um ein Leben zu führen, das vor Gott bestehen kann. Frömmigkeit heißt: mitten im Leben stehen und das rechte Maß finden. Weder sich asketisch dem Schönen und Angenehmen verweigern, noch sich zur Zügellosigkeit hinreißen lassen. Frömmigkeit nach dem Epheserbrief heißt nicht: verzückte Blicke nach oben werfen, sondern: das Leben bewältigen unter der Frage: Was will Gott von mir?
Dem Epheserbrief geht es in erster Linie um Bewältigung des alltäglichen Lebens. Das nennt er vom Geist Gottes geleitete Frömmigkeit. Gebet, Psalmen und Lieder Singen sind ein Ausdruck des Dankes für ein gelingendes Leben, aber nicht die Voraussetzung dafür.
Liebe Leser, ich bin dafür, dass Spiritualität zum Kerngeschäft der Kirche gehört. Aber im Sinn des Epheserbriefes: eine Spiritualität, die mit dem Leben in Verbindung steht; eine Spiritualität, die sich kein Wolkenkuckucksheim baut und sich in eine Sonderwelt flüchtet, sondern eine Spiritualität, die sich um das banale Leben der Menschen müht. Wem das zu wenig fromm klingt, der scheint mir eine religiöse Sonderwelt bauen zu wollen: den Dachstuhl zu konstruieren, ohne das Fundament gelegt zu haben. Wenn Kirche sich nicht um das Leben kümmern will, wenn sie die zweiten Schritt vor dem ersten tut, dann führen ihre spirituellen Angebote wie Luxusausflüge aus dem Leben heraus. Der Epheserbrief sagt: Wahre Spiritualität führt mitten ins Leben hin ein. Das ist euer Kerngeschäft.


Pfarrer Stefan Mai

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