Ist jemand da?

Predigt zum 12.Sonntag im Jahreskreis (Mk 4,35,-41)

Einleitung

„Eine Seefahrt die ist lustig, eine Seefahrt die ist schön …“ - so heißt es in einem gern gesungenen Lied auf Zeltlager und in Reisegesellschaften. Eine große Kreuzfahrt durch die Weltmeere mit Komfort und Luxus ist der Urlaubstraum so manches rüstigen Pensionisten, der Zeit und das nötige Geld dazu hat.
Von einer Seefahrt hören wir auch heute im Evangelium. Allerdings von lustig und schön – keine Spur.


Predigt

In den großen Fußballstadien werden Zehntausende von Menschen still, wenn Herbert Grönemeyer – in ein mystisches Licht getaucht - mit seiner Gitarre langsam von der Bühne aus über den Steg ins Publikum läuft und dieses Lied singt:

- Herbert Grönemeyer, Aus Album „Mensch“, Nr.07 Dort und hier -

„Ist jemand da, wenn dein Flügel bricht_ Der ihn für dich schient, der Dich beschützt_ Der für Dich wacht, Dich auf Wolken trägt_ Für Dich die Sterne zählt, wenn Du schläfst“. Die Kameras werfen während dieser besinnlichen Passagen auf die große Leinwand der Bühne Bilder, die sie in diesen Momenten aus dem Publikum einfangen. Ein Mädchen schaut ihren Freund mit großen Augen fragend an – Ein Mann um die fünfzig steht hinter seiner Frau, legt die Arme um sie und gibt ihr einen sanften Kuss, ein anderes Paar schmiegt Wange an Wange und wiegt langsam im Takt dieser geheimnisvollen Musik mit.


Jeder spürt: Da verarbeitet ein großer Sänger nicht nur den Tod seiner Frau, sondern bringt die tiefe Sehnsucht der Menschen in einer ergreifenden Melodie und in Metaphern, die den Menschen von heute ansprechen, zum Ausdruck: Hoffentlich werde ich in der Not und den Stürmen des Lebens einmal nicht allein gelassen. Hoffentlich gibt es noch einen Menschen, der mich dann hält, wenn der Boden unter den Füßen wankt; hoffentlich trägt mich noch einer auf Wolken, wenn ich aus allen Wolken falle; hoffentlich gibt es dann einen, der mich beschützt, wenn ich in Angst vergehe; hoffentlich ist jemand da, der für mich wacht, wenn tiefe Traurigkeit mich blind macht.
Plötzlich erhob sich ein heftiger Wirbelsturm, und die Wellen schlugen in das Boot, so dass es sich mit Wasser zu füllen begann. Er aber lag hinten im Boot auf einem Kissen und schlief. Sie weckten ihn und riefen: Meister, kümmert es dich nicht, dass wir zugrunde gehen? (Mk 4,37)


Da beginnt für Menschen der Boden zu wanken, sie vergehen vor Angst, der Sturm des Lebens rüttelt sie durch, ihre eigene Kraft ist am Ende. Da schreien sie nach einem, der den gebrochenen Flügel schient, der sie beschützt, der für sie wacht, der sie auf Wolken trägt … Doch der schläft ganz fest, hört nicht ihre verzweifelten Schreie, sieht nicht ihre verzerrten Gesichter, bemerkt nichts von ihrer Angst.
Mit dieser Szene schildert das Markusevangelium eine Situation, die wir alle kennen. Wenn es in der Seele schäumt und tobt, wenn äußerer Druck uns zermürbt, wenn Stürme des Lebens uns durcheinander wirbeln, der Gegenwind scharf ins Gesicht bläst, dann haben wir oft den Eindruck, auf uns allein gestellt zu sein. Die Menschen um uns herum genauso ohnmächtig wie wir. Und trotz der Sehnsucht, dass wir da von einem Gott etwas spüren, der nicht „schläft und schlummert“, dass uns gerade da die Beziehung zu Jesus trägt, ist von diesem Gott herzlich wenig zu spüren, hat sich Jesus scheinbar in unserem Lebensboot in die letzte Ecke verkrümelt. Die Beziehung zu ihm scheint wie abgerissen. Wir kennen zwar seine Worte, aber sie tragen uns nicht. Wir empfangen ihn in der Kommunion und doch spüren wir wenig von einer Gemeinschaft mit ihm.


Und doch kennt das Evangelium keinen anderen Rat, als mitten in der Angst aufzustehen und sich mit seiner Angst an den zu wenden, der scheinbar schläft. Das Evangelium kennt nur die eine Hoffnung, dass dieser Jesus wieder aufsteht in meinem wankenden Lebensboot, dass seine Worte und seine Nähe wieder Ruhe ins Leben bringen. Und es wirbt um dieses Vertrauen, dass mein Schreien und Rufen in solchen Situationen nicht ins Leere geht.


Pfarrer Stefan Mai

© Stefan Mai 2001 - 2024
Alle Rechte vorbehalten.
Vervielfältigung nur mit Genehmigung von Pfarrer Stefan Mai.

www.stefanmai.de