Wenn die Schafe gekränkt sind

Predigt zum 4.Sonntag der Osterzeit (Joh 10,11-18)

Einleitung
Bis heute ist das Bild vom Hirten und seinen Schafen eine Idylle. Das Schaf, Sinnbild von Sanftheit und Unschuld, es steht Pate für lammfromm und brav. Aber das wird meistens übersehen: So ein Schaf kann ganz schön bockig werden, so angriffslustig wie dieser Bock in Neuseeland - heute steht es in der Zeitung -, der eine Rentnerin mit den Hörnern zu Boden stieß und zu Tode trampelte.
Auch in der Kirche können Schäfchen ganz schön bockig werden. Zur Zeit können die bayerischen Diözesen ein Lied davon singen. In Regensburg liegt der neue Bischof Gerhard Müller im schärfsten Clinch mit einem Dekanatsratsvorsitzenden Grabmeier. Der Eichstätter Oberhirte Walter Mixa entzog vor kurzem der Gruppierung „Wir sind Kirche“ das Gastrecht im Diözesanrat, weil sie zu aufmüpfig wurden. Und der neue Passauer Bischof Wilhelm Schraml hat sich nur wenige Monate nach seinem Amtsantritt nicht nur mit Laien, sondern auch mit vielen Priestern und Domkapitularen seines Bistums überworfen.

Normalerweise wird am 4. Ostersonntag, traditionell Gut-Hirten-Sonntag genannt, über die Geistlichen Berufe gepredigt. Ich möchte heute aus aktuellem Anlaß einmal über das neue gespannte Verhältnis zwischen Schafen und Hirten in unserer deutschen Kirche sprechen.


Predigt
In einem Gedicht stellt Robert Gernhardt die Frage:

Gesetzt den Fall, ihr habt ein Schaf gekränkt
Gesetzt den Fall heißt „Nehmen wir mal an“
Gesetzt den Fall, es hat den Kopf gesenkt
Und ist euch böse – ja, was dann?


Und Robert Gernhardt empfiehlt in einer weiteren Strophe:

Dann solltet ihr dem Schaf was Liebes sagen,
ihr könnt ihm dabei auch den Rücken streicheln,
ihr dürft nicht „Na? Warum so sauer?“ fragen,
ihr müsst dem Schaf mit Freundlichkeiten schmeicheln.


Wie sollen sich die Hirten der Kirche verhalten, wenn ihnen in Deutschland immer mehr Schafe davonlaufen, weil sie sich gekränkt fühlen. Reicht da – wie Robert Gerhardt es empfiehlt -, dem Schaf den Rücken streicheln und was liebes sagen?....
Wie soll sich eine Kirche verhalten, wenn der Vertrauensschwund in sie so radikal wie in den letzten Jahren ist? Die Meinungsumfragen belegen in steter Regelmäßigkeit, dass viele Bürger das Vertrauen in die Kirche verloren haben. Aber es lässt aufhorchen, wie sehr dieser Trend nun auch die erzkatholischen Regionen erfasst. So haben nach der groß angelegten Meinungsumfrage „Perspektive Deutschland“ die Gläubigen in Bayern weit weniger Vertrauen in ihre Kirche als in den deutschen Diasporagebieten. Das hat sicherlich damit zu tun, dass man sich in der Diaspora eher zusammenschließt und Kritik abweist. Dennoch: Mehr als jeder vierte bayerische Katholik gibt an, überhaupt kein Vertrauen mehr in seine Kirche zu haben. Das spiegelt sich auch in den Kirchenaustrittszahlen. Sie sind in den bayerischen Bistümern sprunghaft gegenüber 2001 um mehr als 16 Prozent angestiegen. Insgesamt verließen in Bayern im Jahr 2002 über 33000 Katholiken ihre Kirche.

Ich denke, da reicht kaum: „Ihr sollt dem Schaf was Liebes sagen..., das wäre nur scheinheiliges Getue, das würde die Lage und auch die gekränkten Schafe nicht ernst genug nehmen und sie noch mehr misstrauisch machen. Ich denke, bei der derzeit autoritätskritischen Stimmung in unserer Gesellschaft, die nicht nur die Kirche abbekommt, sondern auch Gewerkschaften, Politiker und führende Wirtschaftsleute, ist es schwierig, Patentrezepte zu benennen.
Aus meiner Beobachtung wäre aber folgendes wichtig.
1.Unsere Gesellschaft ist sehr sensibel geworden für Glaubwürdigkeit. Das Pochen auf formale Autorität wird nicht mehr respektiert, wenn, dann kann nur natürliche Autorität überzeugen. Der Mensch von heute sehnt sich danach, dass Menschen das leben, was sie vertreten – und zwar ungekünstelt, ohne darauf zu schielen, wie es ankommt und welchen Nutzen es den Vertretern bringt. Der Mensch von heute verlangt, dass man Fehler zugeben kann, dass eigenes Unvermögen nicht beschönigt oder kaschiert wird. Und vor allem hasst er eines: Wenn an anderen kritisiert wird, woran es in den eigenen Reihen krankt. Und mir scheint: Dieses Verhalten ist nicht weit von der Einstellung Jesu entfernt. Wie scharf geißelt er die religiösen Autoritäten, die Hirten seiner Zeit: „Sie reden nur, tun selbst aber nicht, was sie sagen.“ (Mt 23,3)

2.Der heutige Mensch erwartet, dass es der Kirche und vor allem ihren herausragenden Vertretern um das Wohl von Menschen und nicht um das Retten kircheninterner Strukturen geht. Er möchte spüren: Es geht um die Schafe, nicht um den eigenen Stall. Es geht nicht darum, die eigene Haut zu retten und selbst gut dazustehen, sondern dafür zu sorgen, dass nicht den Verlierern der Gesellschaft das Fell über die Ohren gezogen wird. Und wiederum ist nur festzustellen: Auch diese Erwartung ist nicht weit von der Einstellung Jesu entfernt, der sich im Gleichnis als einen schildert, der bis zum Umfallen dem gefährdeten Schaf nachrennt.

3.Der heutige Mensch möchte spüren, dass er selbst ernstgenommen wird, mit seinen Erfahrungen, mit seinen Sehnsüchten, mit seiner Angst, mit seinen Hoffnungen. Er wartet nicht auf die große Belehrung von oben, die in elfenbeinernen Türmen ausgedacht und in einer Einbahnstraße auf sie ausgegossen wird. Er möchte kirchliche Hirten nicht als die großen Besserwisser erleben sondern als Mitmenschen, die auf gleicher Augenhöhe das Lebenswissen des heutigen Menschen ernstnehmen, als Menschen, die selbst suchen und nicht so tun als hätten sie alles fest im Griff und alles schon gefunden. Auch dieser Wunsch ist dem Bild des guten Hirten im Johannesevangelium ziemlich nah: „Ich bin der gute Hirt; ich kenne die Meinen, und die Meinen kennen mich.“ (Joh 10,14)

Liebe Leser,

Gesetzt den Fall, ihr habt ein Schaf gekränkt
„Gesetzt den Fall“ heißt „Nehmen wir mal an“
gesetzt den Fall, es hat den Kopf gesenkt
und ist euch böse – ja, was dann?


Ich würde mit einem anderen Ratschlag als Robert Gernhardt antworten:

Ihr sollt nicht den erhabnen Besserwisser spielen
Nicht auf Macht und Einfluss und Beliebtheit schielen
Ihr sollt wach sein für den Weg der Zeitgenossen,
für sein Suchen, Fragen, Bangen, Hoffen.
Erst wenn du bereit bist, diesen Weg mit ihm zu gehen,
dann wird er den Sinn von Kirche wieder neu verstehen.
Wird sich nicht lauthals oder leise von der Kirche verabsentieren.
Ihr Hirten werdet dann vielleicht ganz unerwartet Gottes Wege neu erspüren.


Fürbitten
Gott, du willst, dass das Leben von Menschen gelingt. Wir beten zu dir in unseren Anliegen:

Für alle, denen Menschen anvertraut sind
Für alle, die in der Kirche, in Wirtschaft und Politik in leitenden Positionen arbeiten
Für alle, die auf sie angewiesen sind

Für alle, die ihre Macht gnadenlos ausspielen
Für alle, die andere Menschen instrumentalisieren
Für alle, die den Bodenkontakt verlieren

Für alle, die sich für unsere Namen und Person interessieren
Für alle, die jede neue Begegnung ernst nehmen
Für alle, die sich anderen gegenüber öffnen

Für alle, die falsche Sicherheiten vorgaukeln
Für alle, die Vertrauen und Gutgläubigkeit ausnutzen
Für alle, die vor nichts zurückschrecken

Für die sieben Diakone, die unser Bischof am Pfingstsamstag zu Priestern weihen wird:
Für Manfred Bauer aus Unterschüpf
Für Thomas Geuppert aus Bergrheinfeld
Für Markus Grzibek aus Oberwerrn
Für Florian Judmann aus Kützberg
Für Arkadius Kycia aus Aschaffenburg
Für Frank Mathiowetz aus Obernau
Für Gregor Sauer aus Oberpleichfeld

Darum bitten wir durch Christus, unsern Herrn. Amen


Pfarrer Stefan Mai

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