Wir feiern, was uns fehlt

Gründonnerstag 2003

Predigt

Der Volksmund sagt: Man muss die Feste feiern, wie sie fallen. Und wenn die Verwandtschaft wieder einmal bei einem Leichenschmaus zusammensitzt, hört man oft: „Warum treffen wir uns eigentlich nur zu Beerdigungen? Es gibt doch so viele freudige Anlässe!“ Der gute Wille ist da, die Anlässe auch – aber gefeiert wird im großen Kreis über die Familie hinaus doch nicht.

In unserer Kirche wird täglich Eucharistie gefeiert. Im großen Kreis. Alle sind eingeladen. Aber gibt es auch einen echten Anlass dafür?

Natürlich, sagen die Insider: Die Einladung des Herrn ist Grund genug: „Tut dies zu meinem Gedächtnis.“ In der Theorie stimmt das. Aber: Ein Fest feiert, wer sich über etwas freut, wer dankbar ist. Einmal ehrlich: Worüber freuen Sie sich, wenn Sie Eucharistie feiern? Haben Sie ein echtes Gefühl der Dankbarkeit? Welche Antwort würden Sie geben: Was ist der Grund, der Sie bewegt, zum Fest der Eucharistie zu kommen – von der Gewohnheit einmal abgesehen?

Ich gebe es ehrlich zu. Es ist schwer, eine Antwort zu geben, die andere überzeugen kann. Eine Spur, in der ich mir eine Antwort für unsere Zeit vorstellen kann und in der ich weiterdenken möchte, hat der Frankfurter Kapuzinerpater Erich Purk gelegt. Er sagt: „Wir feiern, was uns fehlt!“

Im ersten Moment stutze ich. Aber dann schaue ich auf die Texte und Handlungen der Eucharistiefeier – und mir fällt auf:

In den Gebeten ist so viel von Liebe die Rede. „Er liebte sie bis zur Vollendung.“ Heute am Gründonnerstag singen wir: „Liebet einander, wie ich euch geliebt.“ Wir feiern die Liebe. Und spüren: Liebe ist Mangelware, auch unter Christen. So viel Lieblosigkeit bestimmt unseren Alltag. Wir feiern, was uns fehlt.

In jeder Eucharistiefeier ist von Versöhnung die Rede. Wir beten oder singen beim Agnus Dei: „Gib uns deinen Frieden!“, und reichen uns die Hand zum Friedensgruß. Wir feiern Versöhnung und Frieden – und wissen: Mitten durch unsere Familien und unsere Reihen geht Streit. Was wird alles übereinander geredet und einander nachgetragen! Wir feiern, was uns fehlt.

Wir hören in jeder Eucharistiefeier die Spitzensätze: „Dies ist mein Leib, hingegeben für euch. Dies ist mein Blut, vergossen für euch.“ Heute am Gründonnerstag steht uns in der Fußwaschung ein Beispiel für selbstlosen Dienst vor Augen. Wir feiern die Haltung der Hingabe – und wissen: Tagtäglich herrscht Egoismus unter den Menschen. Jeder sucht nach seinem Vorteil. Wir feiern, was uns fehlt.

Der Höhepunkt einer jeden Eucharistiefeier ist die Wandlung. Und wir beten darum, dass mit den Gaben auch unser Herz verwandelt wird. Und wir wissen ganz genau: Wir bleiben doch dieselben. Und ins Leben kommt so wenig Neues hinein. Wie oft leiden wir darunter. Wir feiern, was uns fehlt.

Liebe Leser, in der Eucharistie feiern wir, was uns fehlt. Darüber könnte man traurig sein. Man kann es aber auch anders sehen: Diese Feier lässt die Sehnsucht nicht sterben. Die Sehnsucht nach Liebe, nach Frieden, nach Hingabe, nach Wandlung.

Fürbitten

An diesem Abend feiern wir die Erinnerung an das letzte Mahl Jesu mit seinen Freunden. Wir bitten Gott:

Heute Abend empfehlen wir Gott alle, die Freude am Gottesdienst haben und dankbar Eucharistie feiern als Gemeinschaft mit Jesus und allen, die an ihn glauben

Heute Abend empfehlen wir Gott alle, die dem Beispiel Jesu folgen und anderen dienen: in den Familien und der Nachbarschaft, in den Krankenhäusern und Altenheimen, in Notlagen und Einsamkeit

Heute Abend empfehlen wir Gott alle, die sich nach Liebe und Zärtlichkeit sehnen und auch für alle, die Liebe schuldig geblieben sind und Liebe in Ehen und Freundschaften verraten haben

Heute Abend empfehlen wir Gott alle, die unter Terror und an den Folgen von Krieg leiden und für alle Menschen, die Streit und Unfriede in Familien kaputt macht

Heute Abend empfehlen wir Gott uns selbst, die wir gerne andere Menschen sein möchten und doch oft nicht die Kraft haben, uns zu verändern

Gott, wir feiern nun in diesem Mahl die Liebe, den selbstlosen Einsatz, den Frieden, die Wandlung. Lass uns von diesem Geheimnis nicht unberührt bleiben und Auswirkungen auf unser Leben haben. Darum bitten wir durch Christus unsern Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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