Zwei Verständnisschlüssel zur Markuspassion

Erklärende Hinführung – erläuternder Einschub

Hinführung zur Palmprozession auf dem Marktplatz

„Hosanna“ – dieses Wort gehört für uns zum Palmsonntag. „Hosanna dem Sohne Davids“ – dieser Ruf ist uns von den Palmprozessionen her im Ohr. „Hosanna“ – dieser Ruf ist eigentlich ein Huldigungsruf aus den Psalmen, der Gott, dem König im Tempel galt. Wenn er Jesus, dem Sohn Davids bei seinem Einzug in Jerusalem entgegengesungen wird, dann klingt er für unsere Ohren so ähnlich wie „Hoch soll er leben!“
„Hosanna“ – dieser Ruf ist eigentlich kein Jubelruf, sondern ein Bittruf. Denn eigentlich heißt er: „Hilf doch, Herr!“ Es ist ein Ruf um den Beistand und die Hilfe Gottes. Wenn dieser Ruf im heutigen Evangelium Jesus gilt, dann wird er einem zugerufen, dessen Leiden mit dem Einzug in Jerusalem beginnt. Wenn wir diesen Ruf heute bei unserer Prozession singen, dann bitten wir diesen Jesus: „Steh uns bei, wenn auch unser Weg - wie der deine – auf harte Straßen des Lebens führt, auf die Straßen von Not, Leid und Tod. „Hosanna! Hilf doch, Herr! Steh uns bei!“

Vor der Passion

Um einen Film, eine Geschichte oder ein Buch, das man eh schon zu kennen meint, besser zu verstehen, gibt es eine gute Methode: Ich nähere mich dem bekannten Stoff unter einem bestimmten Gesichtspunkt und versuche von diesem Gesichtspunkt aus das Ganze wieder einmal neu zu verstehen, neue Einsichten zu gewinnen. So möchte ich Ihnen heute zum neuen Entdecken der Leidensgeschichte nach Markus zwei Schlüssel an die Hand geben mit dem Sie sich diese alte Erzählung neu erschließen können und vielleicht auch neue Entdeckungen machen.

Ein erster Schlüssel

Die Erzählung vom Leidensweg Jesu beginnt mit der Salbung in Betanien. Eine Frau, von der wir den Namen nicht erfahren, setzt diese zärtliche Geste der Salbung und erweist Jesus dieses Zeichen der Nähe und diesen Liebesdienst, bevor ihn dann raue Männerhände packen und foltern. Die Zuneigung einer Frau ohne Namen wird vor dem verlogenen Scheinkuss eines Freundes erzählt.
Welch einen Gegensatz: Jesus geht in der Markuspassion seinen Weg zwischen den Jüngern, die nichts kapieren, und den ihn liebenden Frauen. Jesus geht seinen schweren Weg zwischen den drei schlafenden Jüngern am Ölberg, die sich dann zusammen mit allen anderen aus dem Staub machen, und den Frauen; drei von ihnen werden eigens mit Namen genannt, weil sie mit ihm bis unters Kreuz gehen. Vor dem Hinrichtungsspruch kommen im Markusevangelium fast ausschließlich die Männer vor, die ihm gefolgt sind, nach der Verurteilung zum Kreuzestod spielen nur noch die Frauen eine Rolle. Die Männer werden immer treuloser, je näher sie an den Ort der Hinrichtung kommen, die Frauen beweisen ihre Treue und Standfestigkeit gerade dort. Und sicherlich ist es kein Zufall: Wie am Beginn des Leidens eine Frau das zärtliche Zeichen der Salbung setzt, wollen am Ende nochmals drei Frauen dem geschundenen Körper im Grab diese Zärtlichkeitsgeste zukommen lassen.

Lesen der Passion: Mk 14,1-72

Ein zweiter Verständnisschlüssel:

Das Gerichtsverfahren gegen Jesus läuft im Markusevangelium in zwei Etappen ab. Zuerst findet ein Verhör vor dem jüdischen Hohen Rat statt, dann die römische Gerichtsverhandlung vor Pilatus. Es ist auffallend, dass es in beiden Verhandlungen um entscheidende Titel geht. Im Verhör vor dem jüdischen Rat geht es vor jüdischen Ohren um den Messias-Titel, vor Pilatus und den römischen Soldaten um den Königs-Titel. „Bist du der Messias, der Sohn des Hochgelobten?“ fragt der Hohepriester Jesus und dieser antwortet: „Ich bin es!“ Pilatus stellt die Frage: „Bist du der König der Juden?“ Knapp und bündig kommt zurück: „Du sagst es!“
Und dann kommt es knüppeldick. Der Titel König ist in römischen Ohren als Konkurrenztitel zum Kaiser gefährlich. Denn hinter diesem Titel wittern die Römer Aufrührer. Und sie zahlen es Jesus heim. Sie karikieren diesen Titel König und verarschen Jesus. Wie bei einem Kaiserzeremoniell legen sie Jesus einen purpurnen Mantel um, setzen ihm eine Krone auf, hantieren mit einem „Zepter“, gehen vor ihm in die Knie und schreien „Ave Cäsar“. Aber anstatt des Lorbeerkranzes setzen sie Jesus einen Dornenkranz auf den Kopf, anstatt der Überreichung des römischen Zepters mit dem Kaiseradler schlagen sie ihm mit einem Rohrstock auf den Kopf. Sie zahlen ihm den Königstitel heim, sie zeigen ihm: „Du lächerliche Spottfigur willst eine ernst zu nehmende Konkurrenz zu unserem Kaiser sein?“
Doch mit diesem Spott nicht genug. Die zweite Verspottungsszene durch die Juden tut noch mehr weh. Denn diese geschieht vor den Augen eines hilflos Sterbenden. Das will ein siegreicher Messias sein, der die Römer aus dem Land hinauswirft, der da jämmerlich krepiert? Der will uns helfen, der sich selbst nicht helfen kann? Wenn, dann soll er es doch wenigstens jetzt beweisen: Hilf dir doch selbst, und steig herab vom Kreuz!
Jesus, von seinen Freunden nicht verstanden und verlassen. Jesus, von seinen Landsleuten nicht verstanden in seinem Uranliegen. Jesus, von der militärischen Macht veräppelt. So stirbt der Messias, der König, für den ihn der Evangelist hält. Nur einer ahnt, was hinter diesem Gekreuzigten wirklich verborgen ist. Ausgerechnet ein römischer Hauptmann spricht das größte Glaubensbekenntnis unter dem Kreuz:
„Wahrhaftig, dieser Mensch war ein Sohn Gottes!“ Er öffnet somit den Lesern des Evangeliums die Augen für diesen Jesus.

Lesen der Passion: Mk 15,1-41


Pfarrer Stefan Mai

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