Wem gehört die Welt?

Predigt zum Misereor-Sonntag 2003( Lesung: Ps 24 )

Einleitung

Im Jahre 1940 erschien auf der Leinwand der Film von und mit Charlie Chaplin „Der Diktator“. Der große Diktator, der deutlich die Züge eines Adolf Hitler trägt und den Charlie Chaplin selbst spielt, nimmt in einer Szene die Weltkugel von einem Ständer, hat sie in der Hand, fühlt sich als Herr der Welt und beginnt mit ihr zu spielen. Er wirft sie in die Luft, fängt sie wieder auf. Zu Klängen eines Wiener Walzers lässt er sie auf den Fingerspitzen tanzen. Als Ballartist jongliert er die Weltkugel auf dem Kopf und treibt mit ihr allerhand Späßchen. Doch auf einmal fällt die Weltkugel bei schrillen Missklängen der Musik zu Boden und zerschellt.
Mit diesem Film protestierte Charlie Chaplin auf seine Weise gegen die Allmachtsphantasie Adolf Hitlers. Er wollte mit seinem Film deutlich machen, wohin es führt, wenn Menschen sich anmaßen zu sagen: „Mir gehört die Welt“.
Die katholische Kirche feiert heute den Misereor-Sonntag. Das gewählte Motto „Wem gehört die Welt?“ scheint mir nicht zufällig gewählt.

Predigt

Befreundete Kinder aus der Nachbarschaft spielen miteinander im Hof. Sie spielen Ball, hüpfen über den Gummi und fahren nicht nur mit ihren eigenen Rädchen wie wild umher, sondern probieren auch die der anderen aus. Es hat fast den Anschein: Was mein ist, ist dein. Ein Herz, ein Sinn. Doch auf einmal fährt der Andreas schneller als Felix und überholt ihn. Das kann Felix nicht verputzen. Er schmeißt das Rädchen von Andreas hin und schreit Andreas an: „Los, steig ab, da hast du wieder deinen Scheißkarren. Gib mir sofort mein Rad wieder. Das gehört mir. Darauf hast du nichts zu suchen.“ „Aber wir hatten doch ausgemacht zu tauschen.“ „Runter mit dir“, schreit Felix weiter, „hau ab, verschwinde von unserem Hof.“
Ein Kinderstreit! Und doch zeigt dieses kleine Beispiel aus der Kinderwelt, dass der Friede zwischen den Menschen immer schnell gestört wird, wenn dieser Satz ins Spiel kommt: „Das gehört mir!“ Da werden Menschen zu unerbittlichen Konkurrenten.

Wem gehört die Welt? - unter dieser Leitfrage steht heute der Misereor-Sonntag. Das Ringen, als Herrscher über kleine Welten oder die große Welt sich aufzuspielen, durchzieht die Geschichte der Menschheit bis auf den heutigen Tag. Auch heute stellt sich in vielen Bereichen diese Frage:

Wem gehört die Welt?
„Gehört sie Ihnen, Herr Bush, wenn Sie mit moralischem Augenaufschlag betonen, auf der Seite Gottes gegen die Achse des Bösen zu kämpfen, wenn Sie mit einer selbstgemachten Penetranz vorbei an den Gremien der Weltgemeinschaft den Krieg gegen den Irak Schritt für Schritt in Gang gebracht haben? Oder wenn Sie, als wär´s Ihr gutes Recht, aus dem Klimaschutzabkommen aussteigen, weil das Ihrer Wirtschaft schadet!

Wem gehört die Welt?
Gehört sie einigen mächtigen Politikern, die die wichtigsten Fragen der Menschheit bestimmen, die dafür sorgen, dass alles geregelt wird? Oder gehört sie einigen Diktatoren die mit ihrem Waffen- und Aggressionspotential die ganze Welt in Furcht und Schrecken setzen können?

Wem gehört die Welt?
Gehört sie dem Militär, in dessen Hand Krieg und Frieden liegt, das mit einem Knopfdruck die Welt in Schutt und Asche legen kann, das den reichen Industrieländern die Zugangswege zu fremden Rohstoffen sichern kann?

Wem gehört die Welt?
Gehört sie den großen Konzernen, die den kleinen Anbietern kaum mehr Platz zum Leben oder Luft zum Atmen lassen. Kann eine Wirtschaft wirklich nur florieren unter dem ungeschriebenen aber hartem Gesetz „Wachse oder stirb?" Gehört die Welt denen, die Geld und somit das Sagen haben? Gehört sie den großen Wirtschaftsbossen, die den internationalen Markt voll im Griff haben, an denen keiner vorbeikommt?

Wem gehört die Welt?
Gehört sie den großen Forschern, deren Ergebnisse die Welt verändern und an keine Grenzen zu kommen scheinen? Gehört sie denen, die sich das Leben patentieren lassen wollen und darüber nachdenken, welche Art von Mensch ihren Vorstellungen nach für die zukünftige Welt geeignet ist?

Wem gehört die Welt?
Gehört sie denen, die von ihrem Gewissen nicht sonderlich geplagt werden, die sich skrupellos mit der Gewalt von Ellenbogen, undurchschaubarer Tricks und hinterhältiger Taktik mit Lug und Betrug nehmen, was ihnen nicht zusteht?

Wem gehört die Welt?
Gehört sie uns, die wir das Glück hatten, in einem reichen Land geboren zu werden, das einen sozialen Mindeststatus garantiert; uns, die wir – ob wir es hören wollen oder nicht – unseren Besitz und Lebensstandard nur auf Kosten der Menschen in der sogenannten dritten Welt haben können – als hätte Gott Menschen verschiedener Klassen erschaffen?

Wem gehört die Welt? Ja, wem gehört sie eigentlich? Kann, darf ein Mensch sich so aufspielen, seine Mitmenschen und die Umwelt so behandeln, als gehöre ihm die Welt, als wäre er Herr der Welt?

Wem gehört die Welt?
„Dem Herrn gehört die Erde und was sie erfüllt, der Erdkreis und seine Bewohner!“ Diese Überzeugung paukt der Psalm 24 gläubigen Menschen ein. Die Luft zum Atmen, die Sonne, die die Haut wärmt, der Regen, der Wind, das Licht, die Nacht – kein Mensch kann so tun, als gehöre ihm dies allein, als gehöre ihm die Welt. Dem Herrn gehört die Erde: die Menschen, die Tiere, die Pflanzen, Erde und Meere, Sonne und Regen, Licht und Dunkel. Weil er zu allem, was auf der Erde lebt, Ja gesagt hat, deswegen hat alles von ihm her seine besondere Würde.

Liebe Leser, der Misereor-Sonntag möchte mit seinem diesjährigen Motto „Wem gehört die Welt?“ diese uralte Überzeugung wieder einmal ins Bewusstsein bringen: Die Welt gehört seinem Schöpfer, dem „creator“ und nicht dem Menschen, der “Kreatur“! Die Misereor-Fastenaktion kennt nur diesen einen Weg zu einer gerechteren und menschlicheren Welt: anerkennen, dass die Welt nicht mir gehört, dafür Sorge tragen, dass es nicht nur mir allein gut gehen soll. Eine so einfache Einsicht. Und doch so schwer in unser Gehirn zu bringen.

( nach einer Idee von Heribert Arens, PuK 3/2003 S.438)


Pfarrer Stefan Mai

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