Waffen werden Friedenszeichen

Predigt zum 1. Fastensonntag (Gen 9,8–15)

Einleitung

Was oft als biblisches Märchen empfunden wurde, hat im vergangenen Sommer den Osten Deutschlands in Angst und Schrecken versetzt. Sintflutartige Regenfälle. Brechende Dämme. Fluten überschwemmen ganze Landschaften, vernichten die gesamte Ernte der Bauern, reißen Brücken und Häuser mit sich, verwüsten Straßen und Schienen. Was sich Menschen in mehreren Jahren mühsam aufgebaut haben, fällt in wenigen Minuten den Wasssermassen zum Opfer.

Wir hören heute das Ende der biblischen Sintflutgeschichte. Die Flut ist zurückgegangen. Am Tag "danach" steht damals wie heute die große Frage im Raum: Wie ist ein Neuanfang möglich?

Predigt

Nach einem Gewitter, wenn es geblitzt und gekracht hat, der Regen allmählich aufhört und die Sonne wieder durchbricht, dann ist auch heute noch der Regenbogen für Jung und Alt ein wunderbares Schauspiel. Photographen zücken ihre Kameras, Eltern zeigen ihren Kindern die bunten Farben und romantische Seelen geraten ins Schwärmen.

Diese Betrachtungsweise des Regenbogens ist der biblischen Erzählung fremd. In der Sintflutgeschichte ist der Regenbogen das Zeichen für das Ende eines Krieges. Die Sintflutgeschichte ist eine grausame Geschichte. Denn sie erzählt von einem Vernichtungskrieg, den Gott gegen die Menschen führt. Der Geduldsfaden Gottes ist gerissen. Ihm reicht es. Die Schlechtigkeit der Menschen, so erzählt die Geschichte, nimmt von Tag zu Tag zu. Er kann nicht mehr mit ansehen, was die Menschen aus seiner Erde gemacht haben. Und da funkt er dazwischen. Gründlich. Nur ganz wenige bleiben am Leben. Mit ihnen beginnt Gott eine neue Geschichte. Er verspricht ihnen, nie wieder das gesamte Leben auszulöschen. Und als Zeichen seines Versprechens setzt er den Regenbogen in die Wolken. Das war ein Zeichen, das in der alten Welt keiner Erklärung bedurfte. Der Bogen, die Kriegswaffe schlechthin, hat seine Bedrohlichkeit verloren, er ist aus der Hand gegeben, nicht mehr gegen andere gerichtet, am Himmel erscheint er in einem neuen Licht: Die Waffe ist umgekehrt in ein Friedenszeichen.

Ich glaube, die Bibel erzählt in diesen uralten Vorstellungen ein Konfliktlösungsmodell. Menschen sind voneinander maßlos enttäuscht. Sie haben eine furchtbare Wut aufeinander. Aggression staut sich solange an, bis es richtig kracht. Da gehen Menschen aufeinander los wie wilde Tiere. Sie packen sich am Kragen und dreschen aufeinander ein. Da knallen Türen, Telefongespräche werden jäh abgebrochen und Totenstille kehrt ein. Da werden gehässige Briefe mit allerlei Anschuldigungen geschrieben oder die schlimmsten Wörter sich gegenseitig an den Kopf geworfen. Mit Absicht werden tiefe Wunden gerissen.

Und dann ist Funkstille, bis es einen der beiden Streithähne reut. Und oft geschieht der Neuanfang wie in der Gottesgeschichte: Die Kriegswaffe wird zum Versöhnungszeichen. Die Hand, die sich vorher zur Faust geballt und zugeschlagen hat, öffnet sich, streckt sich langsam dem anderen entgegen und zeigt ohne Worte: Komm, wir sind wieder gut. Die Tür geht auf, das Telefon klingelt und ich höre die giftige Stimme auf einmal ganz anders. Worte, die Wunden gerissen haben, stammeln eine Entschuldigung.

Ich glaube, dass die grausame Sintflutgeschichte so doch noch zu einer Hoffnungsgeschichte wird. Sie sagt mir: Du brauchst auch bei einem heftigen Konflikt nicht gleich schwarz zu sehen. Du kannst aus der Eskalation lernen. Aggressive Waffen können zu Friedenszeichen werden. Was beinahe das Ende für eine Beziehung bedeutet hätte, kann zum Zeichen für einen Neuanfang werden. Was beinahe alles zerstört hätte, kann zum Versprechen dafür werden, es nie mehr so weit kommen zu lassen.

Fürbitten

Herr, unser Gott, es braucht viel Mut, Streit und Konflikte zu bereinigen. Wir bitten dich (immer drei Bitten lesen, dann Antwortruf oder Stille):

Für alle, die sich hoffnungslos zerstritten haben

Für alle, die andere tief beleidigt haben

Für alle, die alle Brücken zueinander abgebrochen haben

Für alle, die sich dafür schämen, was sie anderen an den Kopf geworfen haben

Für alle, die sich darüber ärgern, dass sie sich bei Konflikten nicht im Griff haben

Für alle, die ihre Wut an anderen auslassen

Für alle, die mit Hassgefühlen im Bauch leben

Für alle, die sich vor Auseinandersetzungen fürchten

Für alle, die sich gegen Anschuldigungen nicht zur Wehr setzen können

Für alle, die nicht wissen, wie sie den ersten Schritt auf den anderen zugehen sollen

Für alle, denen der Mut fehlt, die Wahrheit zu sagen

Für alle, denen ihr Stolz verbietet, einen Fehler zuzugeben


Pfarrer Stefan Mai

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