Wie weit bist du?

Predigt zum 20.Weihetag am 26.Februar 2003<br>(Schrifttexte: Ps 63/Joh 3,1-13)

Predigt

Mittendrin

Wenn ich über einer Predigt sitze, ein Buch lese oder über einer Arbeit bin und gefragt werde: "Wie weit bist du denn?" Dann gebe ich manchmal die Antwort: "Ach, so mittendrin."

Wenn Sie mich heute an unserem 20.Weihetag fragen würden, wie weit bist du, so müsste ich mit meinen Kurskollegen auch ganz realistisch und nüchtern antworten: "So mittendrin!" Wir sind vor 20 Jahren geweiht worden und – wenn Gott will – stehen noch über 20 Jahre aktiven Dienstes vor uns.

Wie weit bist du – So mittendrin. Die Antwort ist sachlich. Aber die Frage bohrt in mir: Welchen Klang hat deine Antwort? Klingt sie hoffnungsvoll, gelangweilt, vielleicht ein Stück resigniert und desillusioniert, oder ist sie mit Spannung geladen, dass noch Wesentliches kommt, dass noch Wichtiges auf uns wartet, das neue Ideen und Kräfte mobilisiert, trotz Älterwerden?

Zwischensituation - Der Eingangsbereich im Museum am Dom

Diese Frage geht mir schon länger durch den Kopf. Sie wurde mir aber direkt vor Augen gestellt, als wir am Montag Mittag bei der Dekanekonferenz das neue Museum am Dom besichtigen konnten. Diese eine Stunde war für mich wie Exerzitien zum 20.Weihetag. "Zwischensituation" – diesen Titel lese ich in der Eingangshalle des neuen Museums am Dom. Über mir ein auf Fliegendraht gemalter Himmel - oder besser gesagt - Menschen, die in einen lichten Himmel hinaufsteigen als Ausdruck einer unstillbaren Sehnsucht und Hoffnung und auf der anderen Seite fallen Menschen in eine unauslotbare Tiefe, ein Fallen aus allen Wolken. Und ich werde die Treppe hinabgeführt in das Untergeschoss des Museums, in dem die Vertreibung des Menschen aus dem Paradies in einer großen räumlichen Präsentation dargestellt wird. Graue sandgestrahlte Betonwände, keine Farbtupfer, zerbrochene Vasen, zerbrochene Engelflügel, verschlossene Tore. Beim Umhergehen spürt man in sich förmlich eine Sehnsucht nach Farben und Bildern, die Sehnsucht nach der Wiedererlangung des Paradieses aufsteigen.

Zwischensituation – (M)eine Lebenssituation

Wie weit bist du? So mittendrin! Zwischensituation!

Zwischen himmlischen Gefühlen und Fallen aus allen Wolken?

Jeder von uns, die wir vor 20 Jahren geweiht wurden, trägt diese Sehnsucht nach dem Himmel in sich. Sie hat ihn vor 20 Jahren bewegt, diesen Beruf zu ergreifen, in diesem Beruf selbst an Farbe zu gewinnen und Farbe ins Leben von Menschen zu bringen. Sie hat uns bewegt, ein Farbtupfer im kirchlichen Garten sein zu wollen, einen Beitrag als Gärtner leisten zu wollen, dass Menschen sich in diesem Garten Kirche wohlfühlen dürfen. Aber nach 20 Jahren steht auch – wie in jedem anderen Beruf, wie in jeder Ehe - das Wissen um manche Vertreibung aus Paradiesträumen des Anfangs.

Du kannst noch so viel Kraft, Ideen und guten Willen investieren, auf Schritt und Tritt wird es dir gezeigt, du wirst nie ein Paradies schaffen können. Vielen Menschen geht es einfach zu kleinkariert in dem Garten zu, in dem du arbeitest. Sie fühlen sich von ihm nicht angezogen. Dir wird gezeigt, dass es in keiner Gemeinde den paradiesischen Frieden gibt. Du wirst aus manchen Träumen des Erfolgs vertrieben. Deine sprühende Kreativität kommt manchmal ins Stottern, Ideen, die dich beflügeln, stehen nicht einfach auf Knopfdruck bereit. Die Stunden, in denen du dich Gott sehr nahe fühlst, sind keine Massenware. Und du selbst spürst, du bist nicht immer ein leichtfüßiger Engel, der mit seiner Botschaft Menschen beglückt oder zum Nachdenken bringt. Oft schlurfst du selbst mit gebrochenem Flügel zu bleiernen Menschen. Bei vielen stehst du vor verschlossenen Toren.

Jeder von uns weiß auch das: die Kirche ist nicht das Paradies, oft ähnelt sie eher einem bürgerlichen Schrebergarten, oft gehen manche hoffnungsvolle Beete, die man hegt und pflegt, wieder ein. Nein! Das musste jeder von uns lernen: Die Kirche ist eine Zwischensituation. Wir hängen als Kirche irgendwie dazwischen, zwischen alten Formen, die nicht mehr so recht zu greifen scheinen, und vielleicht ganz neuen, von denen wir noch nicht wissen, wie sie ausschauen.

Wie weit bist du? Ach, so Mittendrin. Zwischensituation. Das neue Museum am Dom machte mir klar: Der Verlust von paradiesischen Bildern, die Vertreibung aus manch erhofften Paradies gehört zu einem jeden Leben. Aber gerade diese Zwischensituation ist die Geburtsstunde von der Sehnsucht nach neuen Bildern. Du steigst wieder nach oben in einen lichtdurchfluteten Raum und begegnest Themen des Lebens: Hoffnung, Liebe, Anmaßung, Leiden, Opfer, Zuwendung, Solidarität, Ohnmacht, Entscheidung, Konsequenz. Und dann gehst du am Ende der Ausstellung an dieser fast lebensgroßen Statue vorbei.

Bild: Antonius Höckelmann, Der Pilger

Der Künstler Antonius Höckelmann hat sie aus Schachteln, Dosen und Abfallprodukten geschaffen und ihr den Titel "Pilger" gegeben. So manche Enttäuschung des Lebens und manchen Dreck schleppt dieser Lebenspilger, der den Namen des Künstlers trägt, mit sich. Die Anstrengungen und Strapazen des Lebens sind ihm anzumerken. Das Leben hat an ihm seine Spuren hinterlassen. Er ist vom Leben gezeichnet, aber er strahlt – trotz allem - eine ungeheure Farbigkeit aus.


Ich verlasse nun diesen Raum mit den vielen Bildern des Lebens, und gehe am letzten farbenfrohen Bild mit dem Titel "Sleeper" vorbei, der gerade einen Traum voller Farben hat, steige die Treppen hinab und stehe wieder im Eingangsbereich und lese wieder "Zwischensituation".

Ich bin ergriffen, weil ich spüre: Das ist nach zwanzig Jahren mein Standort: Zwischensituation. Zwischen Erdenschwere und Sehnsucht nach Transzendenz, zwischen verlorenen Paradiesträumen und dem neuen Traum von Farbigkeit. Ich bin ergriffen - und dafür danke ich Gott. Denn ich ahne: Wer ergriffen ist, der ist von einer Sehnsucht getragen. Wer ergriffen ist, ist lebendig - auch mittendrin!

Fürbitten

Zu Gott, dem unsere Sehnsucht gilt, rufen wir voll Vertrauen

Für alle, die sich auf einen Dienst in der Kirche vorbereiten

Für alle, die uns in unseren Familien Freude am Glauben vermittelt und uns den Glauben vorgelebt haben

Für alle, die sich danach sehnen, glauben zu dürfen und es doch nicht können

919/2 V/A

Für die Regenten der Priesterseminare, die Novizenmeister- und meisterinnen der Orden und alle, die für die Ausbildung von Laientheologen verantwortlich sind

Für alle, die als Professoren theologisches Fragen und Wissen vermitteln

Für alle, die als Pfarrer in Schulen und Gemeinden ihren Dienst tun

919/2 V/A

Für alle, die gerne glauben und Hoffnung und Zuversicht ausstrahlen

Für alle, die um ihren Glauben ringen oder ihn leichtfertig aufs Spiel setzen

Für alle Eltern, die darunter leiden, dass sich ihre Kinder nicht mehr für den Glauben interessieren

919/2 V/A

Für alle, die unbeweglich geworden sind und jede Veränderung in der Kirche mit Argwohn betrachten

Für alle, die neue Formen und Wege in der Seelsorge entwickeln möchten

Für alle, die in unseren Pfarrgemeinden viel Kraft und Zeit investieren

919/2 V/A

Für die Kinder und Jugendlichen, die das Leben noch vor sich haben

Für alle, die in der Mitte des Lebens stehen und große Verantwortung und Belastungen tragen

Für alle, die unter der Last des Alters und der Krankheit leiden

919/2 V/A

Herr, unser Gott, bleibe du unsere Sehnsucht und unser Halt, darum bitten wir durch Christus, unseren Herrn.


Pfarrer Stefan Mai

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