Keine Willkürlichkeit in den Worten

Predigt zum 2. Sonntag nach Weihnachten (Joh 1,1-18)

Einleitung

Eine Frau sagte einmal zu ihrem Pfarrer: "Ich höre Sie so gerne predigen. Für mich sind Sie ein Meister des Wortes. Wie kommt man immer wieder zu solchen Predigtgedanken?" "Nicht gerne reden" – war die Antwort.


Predigt

Eines Tages kamen Politiker zu Konfutse und fragten ihn, womit er beginnen würde, wenn er ein Land zu regieren hätte. "Ich würde den Sprachgebrauch verbessern", antwortete der Meister. Seine Zuhörer waren erstaunt. "Das hat doch nichts mit unserer Frage zu tun", sagten sie, "was soll die Verbesserung des Sprachgebrauchs?" Konfutse antwortete: "Wenn die Sprache nicht stimmt, so ist das, was gesagt wird, nicht das, was gemeint ist. Ist das, was gesagt wird nicht das, was gemeint ist, so kommen die Werke nicht zustande. Kommen die Werke nicht zustande, so gedeiht die Moral und die Kunst nicht. Gedeiht die Moral und die Kunst nicht, so trifft die Justiz nicht. Trifft die Justiz nicht, so weiß die Nation nicht, wohin Hand und Fuß setzen. Also dulde man keine Willkürlichkeit in den Worten. Das ist alles, worauf es ankommt."

(Rolf Zerfaß, Grundkurs Predigt 1, Düsseldorf 1987, S.155)


Diese Geschichte fällt mir oft ein, wenn es auf Wahlen zugeht. Wenn große Worte im Brustton der Überzeugung scheinbar mühelos über die Lippen gehen, wenn auf kritische Fragen viele Worte bemüht werden, um die Fragenden scheinbar unbemerkt von ihrer Frage wegzulocken und wieder auf Dinge zu sprechen zu kommen, die der andere eigentlich gar nicht gefragt hat oder die schon vorher hundertmal benannt wurden. Oder wenn dann nach den Wahlen sich manches Versprechen als Versprecher herausstellt. Alles wird leer, wenn die Worte leer sind. Alles wird verlogen, wenn die Worte verlogen sind. Das mahnt schon Konfutse an.

Verstehen Sie mich bitte nicht falsch. Mir geht es nicht um eine Politikerschelte. Mir geht es nur um eines: Darüber nachdenken, wie mit dem Wort in unserer Zeit umgegangen wird. Je mehr und je leichter Worte – wie es in der Jugendsprache heißt "aus der Lippe fallen" – desto weniger Gewicht wird dem einzelnen Wort zugemessen. Je mehr Talk Shows und Talk Master auf der Bildfläche erscheinen und das Wort zur Show wird, desto weniger erwartet man, dass ein Wort Hand und Fuß, Ernsthaftigkeit und Konsequenz haben muss. Je mehr eine Gesellschaft vom Wort billigen Unterhaltungswert erwartet, desto weniger Wirkung hat ein Wort, desto mehr verkommt Sprache. Je mehr und je größere Worte ohne Scheu in der Werbung eingesetzt werden, desto weniger erwartet eine Gesellschaft, dass das Wort hält, was es verspricht. Je weniger man von Worten erwartet, desto weniger Wirkung haben sie auf Menschen und verkommen zu Worthülsen und Seifenblasen.

Und trotzdem fängt vieles auch heute noch mit dem Wort an: Eine Beziehung, eine Freundschaft, ein Beruf; Liebe wie Verbrechen, Friede wie Krieg. Manches fängt mit dem wahrhaftigen Wort an, manches mit dem lügnerischen, das eine mit dem zärtlichen, das andere mit dem brutalen.

Bereits zum zweiten Mal in der Weihnachtszeit hörten wir heute die bekannten Worte aus dem Johannesprolog: Im Anfang war das Wort und nichts, was geworden ist, ward ohne das Wort … und das Wort ist Fleisch geworden. Wir wissen, dass mit diesem Wort der gemeint ist, der auf leer gedroschenem Stroh geboren und am Ende seines Lebens von harten Worten verletzt und sogar umgebracht wurde.

Heute möchte ich aber unter dem Stichwort "das Wort" einmal unser menschliches Wort verstehen: Im Anfang war das Wort … und das Wort ist Fleisch geworden … In ihm war das Licht und das Leben. Damit dies gelten kann und Wirklichkeit wird, damit unsere Worte nicht solange geleckt werden, bis sie ganz rund und aalglatt sind und leicht aus der Lippe fallen, damit das Wort wieder an Gewicht gewinnt und nicht nur als Unterhaltungswert und Zeitvertreib geschätzt wird, dafür gibt der alte Konfutse den Rat: "Das Wort, das ich sage, sollte mit Glassplittern gespickt sein, damit ich es nicht allzu leicht auf die Zunge nehme, bevor ich es ausspreche."

Davon bin ich überzeugt. Da würde der Wert und die Wirkung eines Wortes wieder wachsen. In der Sprache des Konfutse: Dann würde gesagt, was gemeint ist; dann kommen auch Werke zustande. In der Sprache des Johannesprologs: Alles ist durch das Wort geworden … In ihm war das Leben und das Leben war das Licht der Menschen … Und das Wort ist Fleisch geworden.

Fürbitten

In einem zeitgenössischem Lied heißt es:

"Gib mir die richtigen Worte, gib mir den richtige Ton.

Worte, die deutlich für jeden von dir reden,

gib mir genug davon.

Worte, die klären, Worte, die stören,

wo man vorbeilebt an dir.

Wunden zu finden und zu verbinden,

gib mir die Worte dafür."

Gott, wir bitten dich:

Schenke uns im alltäglichem Gespräch den richtigen Ton …

Gib uns in schwierigen Situationen die richtigen Worte …

Lass uns in verzwickten Lagen Worte finden, die klären …

Wenn alles zu selbstgefällig wird schenke uns den Mut zu Worten, die stören …

Wenn wir Trost brauchen, lass uns Worte hören, die Wunden verbinden …

Lass dein Wort unter uns lebendig bleiben …



Im Anfang war das Wort und das Wort war bei Gott und Gott war das Wort. Amen


Pfarrer Stefan Mai

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