Trost- was ist das?

Predigt zum 2.Adventsonntag (Jes 40, 1-5.9-11)

Tröstet, tröstet mein Volk! Welch ein Auftrag, der dem Propheten Jesaja im babylonischen Exil zugemutet wird. Trösten soll er Menschen, die wenig Hoffnung auf eine bessere Zukunft haben, trösten soll er Menschen, die sich resigniert mit ihrer Lebenslage abgefunden haben, trösten soll er Menschen, die mit Schuldgefühlen beladen sind und sich von ihrem Gott verlassen fühlen.

Aber das wissen wir. Trösten ist nicht einfach. Denn echter Trost liegt nicht einfach auf Abruf bereit. Echter Trost ist nicht einfach machbar. Echt trösten, nicht nur vertrösten, wie schnell kommen wir da an unsere Grenzen, wie schnell spüren wir da eine ungeheuere Ohnmacht.

Diese großen Worte im Ohr "Tröstet, tröstet mein Volk" gelten auch mir und lassen mich wieder einmal fragen: Was ist ein Trost? Was heißt trösten?

Wenn ein Mensch Trost braucht, dann ist etwas geschehen, das ihn traurig, verzweifelt und unglücklich macht. Wenn ein Mensch trösten will, dann will er das Geschehene so deuten, dass ein trauriger Mensch wieder Hoffnung schöpfen kann, damit er wieder leben kann und neue Kraft in sich spürt. Aber wie geht der Weg zu einem solchen Trost? Darauf gibt es keine Patentantwort. Aber ich möchte Ihnen drei Bilder vor Augen stellen.

Ein erstes Bild

Kinder tun sich beim Spielen mit dem Verlieren schwer. Welche Wutausbrüche können da erfolgen, welche Tränen vergossen werden, wie leicht können Kinder untröstlich sein, wenn sie zu den Verlierern gehören. Oft bereiten Erwachsene für Kinder kleine Trostpreise vor. Diese sollen Kindern helfen, gute Verlierer zu sein, nicht zu schmollen oder durchzudrehen, wenn die Dinge anders laufen als man es sich wünscht. Und vor allem: sie sollen sich nicht schmollend zurückziehen, sondern beim nächsten Spiel wieder mitmachen. Trösten ist eine Bitte an den Mitmenschen, die sagt: Dir ist etwas widerfahren, was dich verletzt, dir zuwider ist und mit dem du nicht fertig wirst. Aber bitte, mach weiter mit! Mach weiter mit beim großen Spiel des Lebens. Das ist noch lange nicht vorbei. Da gibt es vielleicht noch etwas zu gewinnen.

Dieses Bild sagt mir: Trösten heißt – für die Gemeinschaft gewinnen

Ein zweites Bild

Ich kann mich noch gut erinnern, wie mein bester Freund mit 15 Jahren schwer depressiv wurde, wie mit der Zeit aus einem superintelligenten und quicklebendigen Jugendlichen ein antriebsschwacher und ängstlicher Mensch wurde. Ohnmächtig standen wir als seine Klassenkameraden da – ohne große psychologischen Kenntnisse, nur mit gutem Willen und dem Gefühl der Menschlichkeit. Weil er ein guter Musiker war, sich selbst aber nicht mehr ans Klavier setzte oder seine Geige in die Hand nahm, ermunterte ich ihn oft, mit mir eine Schallplatte aufzulegen. So manches Mal griff ich damals zur 5. Symphonie von Beethoven, der sogenannten Schicksalssymphonie. Wer sie kennt, weiß, dass sie mit den düsteren c-Moll Klängen beginnt und Beethoven in Tönen ausdrückt, wie das Schicksal einen hart treffen kann. Wer sie kennt weiß aber auch um das Befreiende dieser Musik, wenn sie am Ende in das strahlende C-Dur umbricht. Wenn die schroffen und wuchtigen Schicksalsklänge niedergerungen werden, in denen die ganze Tragik eines menschlichen Lebens nachklingt und sich am Ende darüber die C-Dur Klänge erheben. Solche Musik ist für mich Inbegriff von Trost. Beim Zuhören wird man in eine andere Welt entführt, in der das Schwere des Lebens nicht verharmlost wird, in der aber ihre Schmerzen auch abklingen und überwunden werden.

Ein drittes Bild

Der bekannte evangelische Heidelberger Exeget, Gerd Theißen, erzählt von einem Besuch in seiner Heimat, in linksrheinischen Land: "Ich schlief in einem Zimmer, das lange einem Ehepaar als Schlafzimmer gedient hatte. Über dem Ehebett war ein Streifen mit der ersten Frage des Heidelberger Katechismus angebracht: ‚Was ist der einziger Trost im Leben und im Sterben? Dass ich mit Leib und Seele, im Leben und im Sterben, nicht mein, sondern meines getreuen Heilands Jesu Christi eigen bin.’ Unter diesem Spruch wurde hier einmal gelebt, geliebt und geschlafen – mit Leib und Seele. Und der Trost bestand darin, dass Jesus und Gott gegenwärtig waren – und "alles zu meiner Seligkeit dienen muss" (wie es in der ersten Frage des Katechismus weiter heißt). Auch die Freuden der Sexualität gehörten zu dieser Seligkeit und waren in den großen Trost einbezogen."

Liebe Leser!

Tröstet, tröstet mein Volk, diesen Auftrag erhielt der Prophet Jesaja vor 2500 Jahren. Bis heute gehört "Trauernde trösten" zu den großen Werken der Barmherzigkeit. Wie herausfordernd, ja oft überfordernd dieser Auftrag sein kann, das wissen wir alle. Aber vielleicht regen die drei erzählten Beispiele wieder einmal an, über Dimensionen des Trostes neu nachzudenken, nicht einfach hilflos die Achsel zu zucken, sondern zu versuchen, Trost lebendig werden zu lassen.

Trost baut Brücken und erneuert Gemeinschaft.

Trost öffnet eine andere Welt.

Trost lässt an die Gegenwart Gottes glauben und sie erfahren.

(Nach einer Idee von Gerd Theißen, Erlösungsbilder, S. 148f)


Pfarrer Stefan Mai

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